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Reisen & Begegnungen

Iquitos – die merkwürdigste Stadt von allen

Iquitos

Das sagenhafte Iquitos in Peru, Photo by Norbert Böer

Falls man einige Jahre auf dem Buckel, ein paar Kontinente und noch mehr Länder gesehen hat, dann mag man in einer stillen Stunde und bei einem guten trockenen Rotwein schon einmal seine Hitliste der Destinationen erstellen. Welches denn die interessanteste Stadt ist, in die ein Flugzeug unsereinen fliegen kann? Was ist wohl das Topziel für Traveller auf diesem ganzen runden Globus?

Nein, nein, gemeint ist kein Wüstenloch mit Holperpiste und auch kein Südseeeiland, in das uns eine propellernde Cessna bringt. Nein, ich meine eine große Stadt mit großem Flughafen, eine richtige City mit richtigem City-Airport. Und dann mag man am Barolo nippen und seine Liste durchgehen, wer da auf vorderen Plätzen zu finden sein muss: CDG, sicherlich, weil in Paris noch immer die Liebe wohnt. NYC, wo das Leben pulsiert, man aber tunlichst reich sein sollte. In GOI braucht man nicht unbedingt reich sein, der Goa-Besucher sollte aber zumindest jung sein. Und bei SFO sollte man am besten beides sein, jung und reich.

Meine Nummer Eins ist allerdings eine ganz andere Stadt. Ein Ziel, das so viele noch nicht angesteuert haben, und das manchem gänzlich unbekannt ist: IQT. Mitten im Amazonaswald.  Bei Iquitos muss man zuallererst einen Blick auf die Landkarte werfen, um zu erkennen, dass der liebe Gott sich hier eine unglaubliche Albernheit erlaubt hat. 3.646 Kilometer fern dem Atlantik und 1.859 Kilometer abseits der Hauptstadt Lima am Stillen Ozean liegt diese Großstadt – 03°47´17´´ Süd, 73°14´59´´ West – eingefangen und eingesperrt inmitten des Amazonasgestrüpps. Die Stadt lässt sich bequem eigentlich nur auf dem Luftweg erreichen, jedenfalls gibt es keine Straße, die zu dieser Stadt führt. Außer durch die Luft bietet sich nur das Wasser an: ein tagelanger Umweg über Pucallpa am Rio Ucayali, der dann in den Amazonas mündet, bleibt die einzige Alternative zum Flugzeug..

Und spätestens hier wird einem klar, dass IQT sich des Spitzenplatzes würdig zeigt: Aus dem Flieger erkennt man rasch die Faszination, die von dieser Stadt ausgeht: Hunderte Quadratkilometer sieht man nur diesen gleichmäßigen grünen Vegetationsteppich. Dann taucht urplötzlich dieses wilde Knäuel von Häusern, zerzausten Straßen und Plätzen auf. Und dann wieder dieser unendliche grüne Teppich, der nirgends aufzuhören scheint.

Obacht, gerade bei dieser Stadt. Sie verlangt dem Körper des kleinen Menschen einiges ab. Wenn man dann aus dem Flieger steigt, kommt es einem vor, als ob man gegen eine Wand läuft. Die Hitze und Schwüle des Regenwaldes, diese Urkraft der Natur, diese Bemächtigung über jedes Leibliche, zeigt sich als erste Warnung von Natur an Mensch.

Die Jahreszeiten bleiben in Iquitos ein nicht weiter auffallendes Ereignis. Der Frühling findet an einem Septembernachmittag statt, dann ist Hochsommer bis nächstes Jahr. Die Menschen dieser Stadt bleiben lange wach, ihr Rhythmus retardiert, er zieht nach, selbst nach Mitternacht lärmt es aus den Restaurants und Juguerías zwischen Hafenpromenade und Hauptstrasse. Und wenn sich die Stadt gegen zwei, drei Uhr morgens schließlich zur Ruhe bettet, dann machen schon die ersten Vorboten der amazonischen Fauna Anstalten, ihr Tagewerk zu beginnen.

Als ich das erste Mal in den 1970er Jahren nach Iquitos kam, da gab es in der Stadt kein Fernsehen, weil die Sendemasten für den Empfang nicht bis zur Hauptstadt Lima reichten. Das Radioprogramm kam aus einem winzigen Studio in der Calle Arica gegenüber vom Kino. Die einzige lokale Tageszeitung Oriente bestand lediglich aus vier wirr bedruckten holzhaltigen Seiten, von denen die dick aufgetragene Druckerschwärze stets an den Fingern des Lesers haften blieb.

Sicherlich  waren es auch diese Rückständigkeit und diese Verlassenheit, die einen Reiz dieser Stadt ausmachten. Später als Mitte der 1980er Jahre das Satellitenfernsehen seinen Einzug in die Dschungelstadt halten sollte und aus den Bars und Hotellobbys das MTV-Musikprogramm und die endlosen peruanischen und brasilianischen Telenovelas dröhnten, da hat Iquitos zugleich ein Stück seiner Unschuld verloren. Medial zumindest.

Zeitweise steigt Iquitos zur reichsten Stadt des Kontinents auf. Zwischen 1890 und 1910 erlebt Iquitos einen märchenhaft anmutenden Wirtschaftsboom. Charles Goodyear hat in den USA gerade mit einem neuartigen Verfahren zur Kautschukvulkanisierung die Epoche des Automobils eingeläutet. Cahuchu nennen die Amazonasindios den weißen Saft, den sie aus den schräg angeritzten Bäumen zapfen, und der nun ein Grundstoff für Autoreifen werden soll.

Auf den Kautschukplantagen nahe Iquitos bricht die Hölle aus: Glücksritter, Desperados und zwielichtige Gestalten zieht der Gummirausch in seinen Bann. Indios werden versklavt und Fronarbeiter aus Barbados verfrachtet, um den wertvollen Rohstoff, den es einzig im Amazonasbecken gibt, abzubauen. Kautschukbarone wie Julio C. Araña, die Familie Del Aguilar, die Cahn, der Cauchero Cohen, die Morey und Familie Barcía leben in Saus und Braus. Sie schlüpfen in feinste italienische Seide, trinken erlesenen französischen Cognac, kaufen Wiener Pianos und venezianische Violinen für das Teatro Alhambra.

Werner Herzog, der Münchener Filmregisseur, hat seinen Film Fitzcarraldo in der Zeit des Kautschukbooms spielen lassen. Herzog meint, diese Stadt habe für ihn etwas „ungemein Erotisches“, und auch der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa spürt in dieser Landschaft die Urgewalt der Natur, die letztendlich doch die Macht der Erotik in all ihrer natürlichen Üppigkeit ist. In der Tat wissen Intimkenner der Szene zu berichten, dass hier die heißblütigsten Señoritas ganz Perus zu Hause sind. Frauen mit solch klangvollen Namen wie Maria de los Angeles oder Adriana, prächtige Siege über Magersucht und Feminismus.

Heute lebt Iquitos von Holzwirtschaft, Petroleum und vielerlei Handel. Böse Zungen verbreiten allerdings die Kunde, der neue Reichtum von Iquitos rieche bedenklich nach Kokain. In der Tat sind die Schneekönige im Wirtschaftsleben Amazoniens so allgegenwärtig wie der Liebe Gott im Vatikan. Doch wen man auch fragt, keiner weiß Genaues. Matrosen, Flugzeugpiloten, Anwälte stehen auf den Gehaltslisten der Kokainmafia. Politiker und Polizisten sowieso.

Wohnen sollte man in der Casa Morey, einem Hotel in der Calle Loreto, das früher das Anwesen eines Kautschukbaron gewesen ist. Viel verändert hat sich nicht in den letzten hundert Jahren. Den Tag ausklingen lassen kann man in der La Casa de Jaime auf der Flussbalustrade am Malecón Maldonado und sich einen paiche a la loretana, das Filet dieses langen, würzigen Paichefisches servieren lassen. Im Jaime lässt sich dieser unverwechselbare Geruch des Flusses, die derbe Macht von Klima und Vegetation und das allabendliche Getriller der Papageien und anderer Amazonasvögel am besten erspüren. Wer erleben möchte, wie die Einheimischen essen, der sollte Sonntagmittags zu Long Fung an der 28 de Julio gehen, wo in einem riesigen Saal eine einfache und herzhafte chinesische Küche aufgetischt wird.

Ein skurriles Fleckchen Erde ist dieses Iquitos, jener schillernde Denkzettel des Kautschukwahns und der Maßlosigkeit. Man muss lange nach Adjektiven für diese Stadt suchen und kann doch im Grunde nur den Widersinn beschreiben. Diese Stadt scheint wolllüstern und doch unbefleckt, brünstig jedoch leicht verwelkt, maßlos obgleich begrenzt, bedauernswert aber stets sonnig im Gemüt. Im Grunde genommen symbolisiert sie die in Stein gemeißelte Leidensgeschichte des Menschen: zu Anfang leise, dann lebhaft, wohl ordentlich, später wahnsinnig, erst bettelarm, dann unermesslich reich, und ganz zuletzt wiederum ohne nichts.

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Chet Baker bläst den verlorenen Ton

Chet Baker, der Trompeter mit dem einsamen Ton.

Chet. Der Jazz-Trompeter. Der Sänger. Der Mensch. Das Wrack. Wie kein anderer weißer Musiker steht er für den Cool Jazz. Er lebt ihn.

Er liebte die Frauen und er liebte das Heroin. Und vor allem liebte er die Musik. Der amerikanische Trompeter Chet Baker war so etwa wie der James Dean des Jazz. Gut aussehend, rebellisch, aber auch einsam, suchend, verzweifelt, ein Steppenwolf.

Sein Spiel zeichnet sich durch eine sanfte und weiche Fragilität aus. Jeder Ton, den er spielt, klingt als sei es sein letzter. Und jeder Ton hätte ja auch leicht sein letzter sein können. Nun ist Chet eine Legende, wobei der Begriff Legende nicht einfach nur meint, dass er viel zu früh gestorben ist.

Am 23. Dezember 1929 wurde Chesney Henry Baker jr. in Yale in Oklahoma geboren. Und in Amsterdam hat er sich am 13. Mai 1988 aus einem Hotelfenster geworfen. Aus Verzweiflung, im Drogenwahn, am Ende – wer weiß das schon.

Ich habe Chet Baker zwei, drei Mal im Konzert erlebt. Mal in kleinen Clubs wie dem Malteserkeller in Aachen vor einem Dutzend Zuhörer, mal auf großen Jazzfestivals. Das war in den späten 70er Jahren, da deutete sich schon das Ende seines Weges an. Die Zähne kaputt, das Gesicht verschrumpelt, der Geist verwirrt.

Chet spielte mit Charlie Parker, mit Gerry Mulligan, Stan Getz, Bud Shank, Ron Carter und mit Art Pepper. Dieser merkwürdige Bursche blies My funny Valentine wie kein zweiter auf diesem Globus.

Er war der Trompeter der Existentialisten. Ein kühler, unnahbarer und vielleicht auch verlorener Ton entströmt seiner Trompete. Er war der Bläser einer zerbrechlichen und waidwunden Melodik. Er blieb das Reh, das von eigenen Hyänen gejagt wurde. Er ist in Kalifornien begraben.

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Peter Drucker wird achtzig

Ein Glückwunsch zum Geburtstag.

Eigentlich ist das Internet so eine Art riesige Wundertüte, ein digitales Überraschungsei, wo am Ende viel Elend, jedoch auch manche Perle zu uns findet. Beim Stöbern entdecke ich nun, dass die kalifornische Claremont Universität den Nachlass von Peter F. Drucker digitalisiert und online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.

In dieser Digital Library des Claremont College, das eine Stunde östlich von Los Angeles liegt, finden sich Briefe, Manuskripte und Aufzeichnungen des berühmten Management-Vordenkers, der an Claremont gelehrt hat. Es lohnt sich, in die Briefe einen Blick zu werfen.

Und welches Schreiben entdecke ich da? Einen Glückwunsch zum Achtzigsten aus dem Jahr 1989!

An diesen Brief kann ich mich nicht mehr recht erinnern, über die Jahre habe ich ihn vergessen. Er ist ein Gemeinschaftsschreiben von Hero Kind, Frank-Lothar Hinz und mir. Der Brief lief über unsere New Yorker Bürochefin Christina McInerney.

Christiana, eine elegante New Yorkerin besten Alters, repräsentierte ECON aus der Mitte Manhattans an der 23rd Street in den USA. Sie hielt den Kontakt zu Verlagen, zur Presse, zu Lektoren, zu Autoren und war als Scout für uns tätig.

Zur Aufgabe eines literarischen Scouts gehört es, Themen, Autoren und Bücher für den deutschen Markt aufzuspüren. Und Christina McInerney war eine großartige Trüffelsucherin. Später – als ECON nicht mehr ECON sein wollte -, da hörte auch Christina auf und übergab das Geschäft an ihre langjährige Assistentin Jane Starr.

Drucker zum Achtzigsten. Schöne Erinnerung an diesen großen Wirtschafts-Philosophen kommen auf, wenn ich heute diesen Brief lese. 1989. Da sollte Peter Drucker noch mehr als 15 Jahre leben. Kurz vor seinem 96. Geburtstag ist er gestorben, in Claremont.

siehe auch: Peter Drucker, der Große
siehe auch: Peter Drucker, der unprofessorale Professor

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Ernest Hemingway unterscheidet

Every man’s life ends the same way. It is only the details of how he lived and how he died that distinguish one man from another.

Jedes Menschen Leben endet auf gleiche Weise. Nur der Aspekt wie er lebte und wie er starb, ist das, was einen Menschen vom anderen unterscheidet.

Ernest Hemingway

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Achtung, katholisches Parken

gefunden in Westerland/Sylt im Mai 2008; Photo by W. Stock

Manchmal lohnt es sich, die Augen offen zu halten. Besonders an Tagen, wenn man einen Parkplatz sucht.

Nehmen wir einmal an, Sie fahren am Sonntag in der Früh Brötchen kaufen, befinden sich vor dem Bäckerladen und wollen Ihr Auto abstellen. Plötzlich erblicken Sie ein Schild: Bäckerei – Parken auf eigene Gefahr.

Seltsam, denken Sie, was hat das alles mit der Bäckerei zu tun? Geparkt wird doch eigentlich immer auf eigene Gefahr. Wer soll denn sonst dafür gerade stehen, wenn Sie Ihr Auto an die Mauer donnern? Ein Hotel klebt doch vor den Waschzimmerspiegel auch keinen Hinweis, Zähneputzen auf eigene Gefahr.

Denn man parkt überall auf eigene Gefahr. Ob vor dem Metzgerladen, der Apotheke oder vor dem Kirchenhaus.

Aber vielleicht liegen die Erwartungen bei der Kirche ja höher. Motorisierte Gläubige könnten mitunter den höheren Beistand selbst auf dem Parkplatz erwarten.

Ob der Gefahrenschutz nicht nur beim Parken verweigert wird, sondern im Kirchenhaus seine Fortsetzung findet? Beten. Auf eigene Gefahr?

Merkwürdig mutet auch diese Abkürzung Kath. Kirche an, dieser gepresste Hinweis auf die katholische Kirche. Hätte das neutral-ökumenische Schild Kirche – Parken auf eigene Gefahr nicht genügt? Oder meint dies, bei der evangelischen Kirche, da parkt man auf fremde Gefahr.

Wie dem auch sei. Da haben wir wieder mitten ins deutsche Leben gegriffen – und erneut eine Fussnote entdeckt aus dem Kapitel: Schilder, die eine Gefahr darstellen. Eine Gefahr, wohlgemerkt, für die deutsche Sprache.

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Tom Wolfe und das Silicon Valley

Tom Wolfe gilt als einer der ganz Großen der anspruchsvollen Unterhaltungsliteratur. Der schlanke und stets dandyhaft gekleidete Autor, ist der bekannteste Protagonist jener neuen Schreibart, die man New Journalism nennt. Die Fakten werden in eine packende fiktionale Erzählung eingebaut. Fortan gilt es Szenen zu beschreiben, nicht mehr so sehr Handlungen.

Im Jahr 1990 hatte ich die Ehre, ein Buch von Tom Wolfe zu verlegen: Die neue Welt des Robert NoyceEine Pioniergeschichte aus dem Silicon Valley. Ursprunglich war dies 1983 ein langer Aufsatz in Esquire unter dem Titel The Tinkerings of Robert Noyce, und mir kam die Idee, für Deutschland daraus ein kleines Buch zu machen.

Ich hatte Tom Wolfe auf der Buchmesse getroffen und der bestens verdrahtete Literaturagent Michael Meller aus München besorgte nun das Copyright beim Autor auf Long Island. Stolz hielt ich nach einigen Wochen den Lizenzvertrag mit der geschwungenen Unterschrift von Tom Wolfe in Händen.

Bei der Story geht es um die Gründerjahre im Silicon Valley, als Intel-Ingenieur Robert Noyce den integrierten Schaltkreis erfand. Im Halbleitergeschäft hatte die Forschung den Stellenwert, den das Werfen beim Baseball hat; sie macht 60 Prozent des Spiels aus. Sauber, so geht dieser Tom Wolfe an eine Geschichte heran und hält wunderbar den Spannungsbogen bis zur letzten Seite.

Genial wie Wolfe in dieser kleinen Story die knisternde Atmosphäre der Anfangsjahre in der kalifornischen Computerindustrie rund um San Francisco einfängt. Er beschreibt eine kleine, heute weitgehend vergessene Episode mit grosser Wirkung, ein Anfang, der die ganze Welt revolutionieren sollte. Wie detailgenau, kenntnisreich und anschaulich Wolfe die eigentlich trockene Materie angeht, das macht ihm so schnell keiner nach. Wer wissen möchte, welche Aufbruchstimmung und welche Begeisterungsfähigkeit die Anfänge des Silicon Valley bestimmten, der sollte sich in dieses Buch fallen lassen.

Tom Wolfe besitzt einen eleganten, sehr präzisen Stil, seine Stücke sind immer genau recherchiert und er verfügt über einen sehr gleichmäßigen Satzrhythmus. Während ein Hunter S. Thompson schreibt wie Charlie Parker sein Saxophon spielt, wild, rebellisch, ohne Konvention, so ist Tom Wolfe ein George Gershwin des Schreibens: große Symphonie, genaue Taktung, präzise, auf Effekte und Pointen zugeschnitten, ein Donnerwetter – gewaltig, krachend, aber doch immer von einer gewissen Lieblichkeit. Und, man darf es nicht vergessen, höchst unterhaltsam.

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Zuck – der Mann des Jahres

In dieser Woche hat das amerikanische Nachrichtenmagazin TIME Mark Zuckerberg, den Gründer von Facebook, zur Person of the Year gewählt. Zu recht, den kein anderer hat in diesen Tagen unser Leben so revolutioniert wie der Internetpionier aus White Plains im Staate New York.

Der heute 26-Jährige hat mit Facebook ein Netzwerk erfunden, das digitales Lagerfeuer, elektronische Informationsbörse, Telefonersatz und Laufsteg der Eitelkeiten zugleich ist. Also, ein geniales Produkt. Fast 600 Millionen Menschen tauschen sich auf Facebook aus, das ist mehr als jeder zehnte Erdenbürger. In der Geschichte der Menschheit hat niemand so viele Menschen wie dieser Mark Zuckerberg zusammen gebracht und kommunizieren lassen.

Im Oktober 2009 erhielt ich die Einladung, die Firmenzentrale von Facebook in Palo Alto besuchen zu dürfen. Die Regeln für Besucher sind überaus streng. Man darf nicht fotografieren, keine Geheimnisse ausplaudern und überhaupt, man sollte nicht allzu neugierig auftreten. All das muss man dann glaubhaft, nicht zuletzt mit seiner Unterschrift unter ein Formular von etlichen Seiten, versichern.

Facebook sitzt nur ein paar Autominuten von der Stanford University entfernt, und auf dem Campus wie auch im Unternehmen denkt man amerikanisch und handelt asiatisch. Produkte, die von der Westküste kommen, werden rasant entwickelt und mit Verve vermarktet. Das Silicon Valley besitzt heute zwei, drei Jahre Vorsprung vor New York und vor Europa sowieso.

Hier am Pazifik sitzen die coolen Firmen wie Apple, Google, Oracle, im Zentrum die Stanford University, jene intellektuelle High-Tech-Schmiede des Valley, und hier sitzen auch die Risikokapitalgeber, die so manches Start-up zu einem Millionengeschäft befördert haben. So auch Facebook.

Was soll man groß über Facebook schreiben, wenn man eigentlich nichts schreiben darf? Dass hier in dem weitläufigen flachen Bürogebäude an der California Avenue 1601 viele junge Leute in riesigen Büros arbeiten? Dass in den Gängen und Ecken große Obstkörbe stehen, Teller mit Müsliriegel, Kühlschränke mit Erfrischungen? Da sind die Vorträge der Executives dann doch interessanter.

Man arbeite ständig an Verbesserungen, an neuen Produkten rund um das Netzwerk. Facebook, so hört man zwischen den Zeilen, sei nicht profitabel, eigentlich suche man noch nach dem goldenen Geschäftsmodell, getrackte Werbung vielleicht, aber zunächst setze man voll auf Wachstum.

Das Netzwerk Facebook definiert auch unseren  Umgang mit Informationen und unserer Privatsphäre neu. Der Mensch wird gläsern, nachvollziehbar,  er präsentiert sich auf dem Tablett. Ein solch offener Umgang mit dem eigenen Ego lässt sich aus der ungezwungenen Mentalität der amerikanischen Westküste erklären. Kalifornien zieht gewitzte Menschen an, mit frischen Ideen, Asiaten, Europäer und Amerikaner, hier wirkt das Denken pragmatisch und jung, hier zählt nicht die Konvention, das Gestern, sondern der Spirit, die Leidenschaft, die Zukunft. The sky is the limit.

Wenn man bei Facebook mal kurz austritt und einen vorwitzigen Blick in die akkuraten Baderäume wirft, dann sieht man, dass hier an den Waschbecken eine Menge Zahnputzbecher und Zahnbürsten stehen. In Palo Alto wird lange gearbeitet und wohl auch mal über Nacht.

Die jungen Leute schuften bis zum Umfallen, aber sie fallen nicht um. Ich frage ich eine Mitarbeiterin, wie lange denn ihr Arbeitstag dauere. So 12 bis 14 Stunden, kriege ich zur Antwort. Ich schaue wohl ein wenig skeptisch. Ich weiß, fügt sie lächelnd an, dies sei zu lang, aber es sei die beste Zeit ihres Lebens.

Nach einem Besuch bei Facebook lässt man sich von der heiteren Stimmung Kaliforniens anstecken. Man verflucht das Geburtsdatum im Reisepass, man ärgert sich, dass man so eine Durchschnittstype ist und wirft dann zumindest den BOSS-Anzug in den Koffer und packt die Jeans und das Polo-Shirt aus.

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gehauchtes Lied gegen braun

Der amerikanische Songwriter Pete Seeger hat Where have all the flowers gone? 1955 komponiert. Ein Anti-Kriegs-Lied. Es ist ein Refrainsong mit einem einfachen Text.

Marlene Dietrich hat das Lied auf Englisch, Französisch und Deutsch gesungen. Wobei die große Schauspielerin Dietrich – man muss es offen sagen – null Stimme gehabt hat. Bei ihrem Live-Konzert in London aus dem Jahr 1972 wird dies bei Titeln wie Honeysuckle Rose oder I get a kick out of you. Vom rein musikalischen Standpunkt hören sich diese Lieder grauselig an.

Auch die deutsche Fassung des Liedes haucht sie mit ihrem Sprechgesang dahin. Aber Sag mir wo die Blumen sind, Text Max Colpet, geht unter die Haut. Denn die Dietrich macht die fehlende Stimme durch Ausstrahlung wett. Und vor allem durch Glaubwürdigkeit.

So trat Marlene Dietrich in Israel auf und sang dieses Lied – auf Deutsch. Ein Skandal. Beinahe. Denn die Dietrich durfte dies. Dieser Song war Teil ihrer Biografie. Marlene stand für das anständige Deutschland. Sie hat gegen die braunen Diktatoren gekämpft, wo es nur ging, mit ihren Mitteln. Dieser Kampf ist in diesem Lied drin.

Max Colpets Sag mir wo die Blumen sind klingt von der Textführung noch eingängiger als das amerikanische Original. Und, noch ein Stück glaubwürdiger.

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Wörter mit Migrationshintergrund

Photo by W. Stock

Was hört man nicht alles in diesen Tagen! Man möge die hehre deutsche Sprache von Anglizismen sauber halten, das Deutsch solle gar im Grundgesetz als Nationalsprache festgeschrieben werden.

Alles nette Initiativen, die etwa so sinnvoll sind, ins BGB zu schreiben, des sommers solle gefälligst die Sonne scheinen. Also, solche Forderungen schaden nicht, zeugen allerdings auch nicht gerade von ausgeprägtem Scharfsinn.

Was Sprachpuristen häufig vergessen: Die deutsche Sprache ist keine reine Sprache und hat Zeit ihres Bestehens Anleihen in fremden Sprachen getätigt. Nur merkt man dies den Wörtern heute nicht mehr an.

Bank beispielsweise ist kein deutsches Wort, sondern kommt aus dem Italienischen. Ein Ursprung, der klar wird, wenn man sich den Bankrott ansieht, das führt sich nämlich zurück auf die banca rotta, den zerbrochenen Wechseltisch, auf die kaputte Bank.

Aus dem Griechischen, dem Lateinischen, dem Französischen oder dem Englischen sind Wörter eingewandert und bei uns geblieben. Ketchup oder Computer sind erst kürzlich eingewanderte Wörter, aber wir haben uns so an sie gewöhnt, dass wir sie schon als halb deutsch ansehen.

Denn oft haben wir für manches migrante Wort keine gescheite deutsche Entsprechung. Oder blicken Sie eher durch, wenn von einem Prallsack die Rede ist statt von einem Airbag?

Um die Jahrhundertwende – um 1900 -, als das Französische noch stark war, hat man dafür gekämpft, dass es gefälligst Geldbörse und nicht Portemonnaie zu heißen habe. Heute hat man mit dem Portemonnaie seinen Frieden geschlossen, und die gute alte Geldbörse gibt es auch noch.

Schokolade? Urdeutsch, sollte man meinen. Weit gefehlt! Bei Schoko wird es richtig exotisch. Obwohl die allermeisten von uns Schokolade für ein deutsches Wort halten würden, hat der Begriff eine weite Reise hinter sich. Die Aztekten nannte die dunkle Kakaobohne xocolatl und daraus wurde dann das deutsche Wort Schokolade.

Was also tun gegen eingewanderte Wörter? Die Antwort ist simpel: Nichts! Rein gar nichts! Eingewanderte Wörter bleiben ein Gewinn für die deutsche Sprache. Sie bereichern die deutsche Sprache und mehren die Wahlmöglichkeiten. Der Kunde – der Sprachnutzer – entscheidet, welches Wort sich durchsetzt und welches nicht.

Eine Sprache ohne ausländische Einflüsse ist nicht vorstellbar, kann nicht funktionieren. Eine solche Sprache wäre tot.

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Wie ich einmal mit Fitzcarraldos Kapitän aneinander gerasselt bin

Fitzcarraldo Paul Hittscher

Fitzcarraldo – ein Filmepos, das Geschichte schrieb.

Seit jeher besitze ich eine fragwürdige Angewohnheit, von der manch einer jedoch auch sagen könnte, sie sei durchaus sympathisch. Ich bin nämlich gewohnt, mit wenig Bargeld durch den Tag zu ziehen.

Hier kommt die Nonchalance des beachcomber zum Zuge, denn mit leeren Taschen läuft es sich leichter durch die Strassen. Für ärgste Fälle steckt eine Kreditkarte im Jackett. Mein leeres Portemonnaie ist mir einige Male zum Verhängnis geworden, einmal gar in den tiefen Tropen des Amazonas.

Es muss wohl Ende der 1970er Jahre gewesen sein, ich bin, wie so oft, im peruanischen Amazonasdschungel, und dort in der Großstadt Iquitos. Es ist ein Sonntag, das Bargeld alle, die Banken sind geschlossen, kein Bargeld in meiner Hosentasche. Aber zum Glück gibt es da ja noch die kleine grüne Kreditkarte von American Express.

An einer Ausfallstrasse der Stadt, in Richtung Flughafen, entdecke ich ein kleines, feines Restaurant. Hübsche Veranda mit kleinen Esstischen, gegen die grelle Sonne überdacht, das blaue American Express-Schildchen klebt an der Eingangstür.

Da ich Kohldampf schiebe, lasse ich ordentlich was auftischen. Ein üppiges Fleischgericht, Kartoffeln, Gemüse, Getränke, Nachtisch. Eine einheimische Frau bedient mich zuvorkommend. Den Abend über bleibe ich der einzige Gast.

Als die Rechnung kommt, reiche ich der Bedienung meine grüne Kreditkarte. Sie schaut mich mit großen Augen an. Wir nehmen keine Kreditkarte, sagt sie. Ich deute auf das American Express-Schild, auf dem groß steht We accept American Express Cards.

Nein, sagt sie, keine Kreditkarten. Doch, sage ich, und zeige nochmals auf das Schild.

Sie holt den Besitzer, von dem ich annehme, dass er ihr Ehemann ist. Ein großer korpulenter, europäisch aussehender Mann kommt heraus und auch er sagt, wir nehmen keine Kreditkarte. Ich erwidere auf Spanisch, genau das aber steht an der Restauranttüre. Ist abgelaufen, sagt der Hüne, ein Mann von vielleicht Mitte 50. Ich bestehe auf Kreditkarte, sage ich, ich habe kein Bargeld, anders kann ich nicht zahlen.

Nun gibt ein Wort, das andere. Der Disput, alles in gepflegtem Spanisch, wird lauter und lauter. Es fehlt nicht viel, und die Fäuste wären geflogen. Bis der Besitzer dann schließlich doch entnervt die Kreditkarte nimmt und sie widerwillig durch das Abrechnungsgerät der Kartenfirma zieht.

Einige Jahre später sehe ich dann meinen rabiaten Wirt wieder, diesmal auf der Leinwand, 1982 in dem Film Fitzcarraldo von Regisseur Werner Herzog. In Fitzcarraldo spielt der Gastwirt die Rolle des Orinoco Paul, des Kapitäns des Amazonasdampfers Molly Aida, einen Part, der ursprünglich mit Mario Adorf besetzt war. Nun erfahre ich, mein Restaurantbesitzer ist ein Seemann aus Hamburg, mit Namen Paul Hittscher. Paul hat über 20 Jahre alle Meere durchpflügt und sich Mitte der 70er Jahren als Gastronom in Iquitos niedergelassen und hat dort eine Einheimische geheiratet.

Mit einem ollen norddeutschen Seebär bin ich aneinander geraten, mitten im Urwald Perus! Wir hätten uns also auch auf Deutsch streiten können. Übrigens, der Betrag meines Essens bei Paul Hittscher ist von American Express nie bei mir abgebucht worden.

siehe auch: Mario Adorf, der unvollendete Amazonas-Kapitän

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