Reisen & Begegnungen

Autor: Wolfgang Stock Seite 15 von 22

Das geht mir am Back vorbei

Back-Factory, gefunden im April 2008 in Frankfurt am Main; Photo by W. Stock

Wenn der Amerikaner substantivisch von Back spricht, so kann damit beim Menschen der Rücken, bisweilen aber auch der verlängerte Rücken gemeint sein. Das sollten empfindsame Gemüter wissen.

Und noch eines vorweg, ich mag Anglizismen. Einen Service Point finde ich richtig toll. Unter dem Facility Manager kann ich mir etwas vorstellen und downloaden sage ich lieber als runterladen.

Aber, bitte schön, Anglizismen mit Wert und Würde. Die Back-Factory als Negativ-Beispiel kriegt da von mir ein ganz dickes Auwei!

Meint der Laden in Frankfurt denn nun Backwaren-Factory (vom deutschen Verb backen abgeleitet) oder ist dies eine gänzlich englische Back-Factory? Den ganz Bösen mag ob dieser Zweideutigkeit die schmutzige Assoziation kommen, hier handele es sich um eine Rücken-Fabrik oder, noch schlimmer, gar um eine Arsch-Fabrik.

Aber nein, Entwarnung, ich kann Sie beruhigen: In der Back-Factory in Deutschland werden nach wie vor Brötchen, Kuchen und andere Teigwaren verkauft.

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Ein Schwede besucht Mario Vargas Llosa

Photos by Norbert Böer

Anfang der 80er Jahre besuchte ich Mario Vargas Llosa in seinem Haus in Lima. Na ja, Haus scheint leicht untertrieben, denn der Schriftsteller wohnt in einer riesigen weißen Villa, die nur durch die Autostrasse vom Meereskliff getrennt wird. Hier am Malecón im feinen Stadtteil Barranco erhält man einen atemberaubenden Blick auf den Pazifik, der in Lima wüster auftritt als sonst wo.

Als ich an dem großen hellbraunen Tor die Klingel betätige, kommen von der Strasse her zwei Kinder angelaufen, die dort spielten. Der Junge vielleicht vierzehn, fünfzehn, das Mädchen wesentlich jünger, so knapp zehn. Sie mustern mich kritisch von oben bis unten. Insbesondere unten, ganz unten.

Dem Jungen fällt mein Schuhwerk auf. Wie so oft in Südamerika trage ich Clogs, offene Halbschuhe, die einerseits bequem und andererseits schön luftig sind. Clogs, die in diesen Breiten Zuecos heißen, was umgangssprachlich auch mit Suecos assoziiert wird, also Schwedenschuhe. Und Schuhe aus Skandinavien, allein dies ist ja schon ziemlich dubios.

Denn Schweden besaßen in jenen Jahren ein ganz bestimmtes Image im erzkatholischen Südamerika. So wie wenn ein Deutscher den Begriff Ibiza hört, auch dieser ein klares Bild vor Augen bekommt. Und auch in Deutschland sagt man ja ab und an alter Schwede, was allerdings nur in gewissen Kreisen als Kompliment gemeint ist. In Schweden, so die Fama rund um den Äquator, seien die Sitten zwischen Männlein und Weiblein arg locker, in Schweden heiraten Frauen andere Frauen und in die Seen springt man aus Prinzip nur nackend. Wie auch immer, alles merkwürdig bis suspekt.

Und Schwedenschuhe? Jedenfalls waren Zuecos in Südamerika damals mehr oder weniger unbekannt, zumindest als Männerschuh. Denn kein richtiger Macho würde so etwas anziehen, Unisex ist sicherlich kein modischer Renner in Lateinamerika.

Der Junge, der meine Zuecos sieht, fängt an zu Kichern und raunt seiner Schwester zu: Schau mal, der Mann trägt Schuhe von einem Mädchen. Das ist doch…. Das Mädchen schaut den Bruder missbilligend an. Sei still, sagt sie, das ist doch der Besuch für Papa.

Die beiden sympathisch vorwitzigen Kinder auf der Strasse waren Gonzalo, der Sohn von Mario Vargas Llosa und die Tochter des Schriftstellers, Morgana.

Das war vor fast dreißig Jahren. Morgana Vargas Llosa ist heute eine bekannte Fotografin in Madrid und Gonzalo Vargas Llosa arbeitet bei der UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen in Genf. Der erstgeborene Sohn Alvaro Vargas Llosa lebt in den USA und ist einer der liberalen Denker hinter dem amerikanischen Think Tank The Independent Institute in Washington, D.C. und ein wortstarker Kolumnist für verschiedene amerikanische Zeitungen.

Und der Schwede, der ja eigentlich ein Deutscher ist, und der noch nie in seinem Leben in Schweden gewesen war, der trägt auch heute noch manchmal Zuecos, seine Schwedenschuhe. Und, als ironische Fussnote der Zeitläufte: Im Jahr 2010 erhält dieser Mario Vargas Llosa aus Barranco, Lima, den Nobelpreis für Literatur – von, ja doch, von der Schwedischen Akademie.

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Come fly with me

Besonders bei Live-Konzerten setzte Frank Sinatra Come fly with me gerne ein, oft auch als opening theme. Jimmy Van Heusen hatte Come fly with me 1957 komponiert und die Textzeilen dichtete der Spassvogel Sammy Cahn. Das Lied war eigens für Sinatra von den beiden geschrieben worden und schnell gehörte der Song zu Frankieboys Standardrepertoire.

Ein Album von Frank Sinatra aus dem Jahr 1958 trug den gleichen Namen. Es war die erste Zusammenarbeit mit dem Arrangeur und Bandleader Billy May. Die Schallplatte dreht sich um eine Weltreise, von Paris über New York bis nach Capri. Aber der Hauptsong Come fly with me bleibt das swingende Herzstück der Platte.

Weather-wise it’s such a lovely day
You just say the words and we’ll beat the birds
Down to Acapulco Bay
It’s perfect for a flying honeymoon, they do say
Come fly with me, let’s fly, let’s fly. let’s fly away

Come fly with me gibt dieser Sinatra-Platte das Motto vor. Around the world with music. Für mich besitzt der Song seit jeher eine besondere Bedeutung. Wie der Zufall so will, ich trieb mich in jungen Jahren an der Acapulco Bay herum. Wunderbare Erinnerungen.

Später gab es dann noch eine Duett-Version – übrigens virtuell – mit dem mexikanischen Sänger Luis Miguel von Come fly with me, das war im Jahr 1994, und Franks Stimme war schon brüchig. Aber trotzdem sah dieser Milchmann Luis Miguel gegen unseren Sinatra alt aus, verdammt alt.

Auf Frank Sinatras zierlichen, in den Boden gefassten Grabstein im südkalifornischen Cathedral City steht: THE BEST IS YET TO COME. Das Beste kommt erst noch.

Zwölf Jahre ist Frank Sinatra nun schon tot. Blödsinn, er ist nicht tot, er ist vor 12 Jahren nur gestorben. Irgendwie ist Ol’ Blue Eyes noch immer unter uns. Erheben wir ihm zu Ehren ein Glas Jack Daniels und stossen mit ihm an. Frankieboy, alter Schlawiner, ein Kerl wie du ist einfach nicht klein zu kriegen.

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Peter Drucker, der unprofessorale Professor

Peter Drucker war der Berater der Berater. Und der Berater der Größten. Weltkonzerne aus den USA, Japan oder Korea haben seinen Rat nachgefragt. Und trotzdem war Peter Drucker keiner dieser geschniegelten, glatten Burschen, die sonst so in der Welt als Unternehmensberater herum laufen.

Trotz aller Erfolge blieb er auf sehr sympathische Art und Weise uneitel und machte nicht viel Aufheben um seine Person. Eigentlich blieb er immer der Peter aus Wien. Nicht nur, weil er so wunderbare Geschichten aus seiner Kindheit in Wien erzählen konnte.

Peter Drucker blieb Zeit seines Lebens unangepasst. Augenscheinlich kultivierte er seinen Hang zum old fashioned. In seinem Tweed-Anzug, in der dunklen Cordhose und dem – sagen wir – zeitlosen Pullover.

Als wir beim ECON Verlag 1989 für den Umschlag seines neues Buches Neue Realitäten ein aktuelles Foto benötigten, baten wir Peter Drucker uns eines zu senden. Wir gingen davon aus, dass er zu irgendeinem Starfotographen nach Los Angeles fahren würde, um uns ein Hochglanzfoto für das Buch zu schicken.

Umso größer war unsere Verwunderung, als wir Tage später das zugeschickte Foto betrachteten. Es zeigte Peter Drucker in seinem rotgrauen Trainingsanzug, lässig an einen Baum seines Gartens gelehnt, nach dem Jogging.

Und Peter Drucker grinste wie ein Lausbub, dem gerade ein guter Streich gelungen war. Aber auch wir waren cool. Art Director Lutz Kober baute das Trainingsanzugs-Foto in den Umschlag ein, zumindest angeschnitten als Portrait, und wir ließen es so drucken. Das Buch wurde ein schöner Erfolg.

Sein Markenzeichen war dieser grummelige Austroakzent, den er im Amerikanischen nie abgelegt hat. Er war – ich glaube, dies wollte er ausdrücken –  er war der Europäer unter den Managementberater, weit entfernt von diesen Dampfplauderern und Wichtigtuern. Peter Drucker war ein belesener Historiker, ein gebildeter Weltphilosoph, aber bisweilen auch ein skurriler Kauz.

Bei seinen Managementtagungen ging es bisweilen höchst unkonventionell zu. Einem kleinen Führungskreis hochrangiger US-Managern, alles Fortune 500-Leute, die einmal zu einem Seminar in seinem Haus in Claremont bei Los Angeles weilten, sagte er nach einem seiner langen berühmt-berüchtigten Monologe von einer Stunde: “So, jetzt haben wir uns alle eine Abkühlung verdient. Ich schlage vor, wir springen kurz in den Pool.” Und er deutet auf den kleinen Swimmingpool in seinem Garten.

„Aber, Professor Drucker, wir haben keine Badehosen dabei“, erhob einer der Manager zaghaft Einspruch. „Well“, sagte Peter Drucker, „wenn ich mich umschaue, so sehe ich hier nur Männer. Da wird es wohl keine Probleme geben.“ Und kurz darauf sah man ein Dutzend hochmögender Chief Executives und Presidents plus den Managementprofessor in den ovalen Pool hüpfen – pudelnackig und bar jeder Kleidung.

Und möglicherweise mochte er mit solch Unkonventionellem zugleich auch eine Botschaft streuen. Vielleicht diese: Am Ende des Tages sind wir letztendlich dann doch alle gleich. Der Bettler wie der Millionär.

siehe auch: Peter Drucker, der Große
siehe auch: MbO – der humane Managementerfolg

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Der „Was-gibt-es-denn-hier?“-Shop

gefunden in Westerland/Sylt, im Mai 2008; Photo by W. Stock

Westerland auf Sylt. Mitten in der Fussgängerzone ein hübsches rot-weisses Ladenschild. The North Face. Darunter: Never stop exploring.

Obacht, wir befinden uns nicht in London, und auch nicht in Dublin oder San Francisco. Trotzdem englischer Markenname, englische Markenerklärung. Kann man machen. Muss man aber nicht verstehen.

Den Laden The North Face fand ich in Westerland, wohl immer noch Deutschland, wenn auch knapp an der oberen Spitze. Eigentlich sollen Namen, Marken und Werbung aufklären. Bei Geschäften sollen sie möglichst drei Fragen beantworten: Was bietet mir der Laden als Kunden? Welche Produkte kann ich hier kaufen? Warum soll ich diese gerade hier kaufen?

Natürlich kann man Interessent und Käufer auch kräftig verwirren. Ihm ein unverständliches Ladenschild quasi als Worträtsel in den Weg stellen. Also dann, was gibt es denn bei The North Face auf Sylt zu erstehen? Es darf lustig geraten werden. Mode? Taschen? Reisen? Fragen über Fragen.

Da muss man schon ganz gut Englisch können, um all das zu verstehen. The North Face. In lockerem Deutsch, wenn man denn will: Die Nord Wand (eines Berges) – Bleib neugierig!

Für Leute, die hoch hinaus wollen. Bei The North Face gibt es wahrscheinlich Trecking-Kleidung, so schlußfolgere ich.

Aber auf Sylt? Wo es keine Berge, sondern nur Sanddünen gibt. Und wo man über die höchste Düne schauen kann, wenn man sich nur auf die Zehenspitzen stellt?

Das Ganze lässt uns dann doch ziemlich ratlos. Jedoch hier naht die Aufklärung. Bei The North Face gibt es in der Tat Outdoor- und Trecking-Kleidung. Auf Sylt – und das ist das hiesige Profil –  können auch Surf-Bretter und Surf-Kleidung gekauft werden. All das hätte man uns aber vielleicht auch einfacher sagen können!

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Die stolze chinesische Mauer

Mutianyu/China, im Oktober 2000

Ohne diese Mauer kann man dieses Land nicht begreifen. Aus jedem Stein dieses Bauwerks spricht China, die Mauer sagt einiges aus über dieses stolze und selbstbewusste Land.

Wenn man den richtigen Abschnitt dieser mehr als 7.000 Kilometer langen chinesischen Mauer aussucht und obendrein die richtige Tageszeit, dann hat man dieses grandiose Bauwerk ganz für sich allein.

Hier bei Mutianyu, eine gute Autostunde nordöstlich der Hauptstadt Peking, ist die Great Wall nicht so übervoll mit fotoknipsenden Japanern und lärmenden Amerikanern wie im weiter westlich gelegenen Badaling. Wenig Touristen, kein Geschiebe und Geschubse, nicht die langen Reisebusse, es ist, als sei man selbst und dieser Mauerabschnitt von der Welt vergessen.

Ohne Zweifel ist die chinesische Mauer das imposanteste Bauwerk, das heute noch steht und bewundert werden kann. Es gilt als das größte von Menschenhand erschaffene Bauwerk der Zivilisation. Es sollte die Mongolen fernhalten, daran erinnern die auf Sichtweite angelegten Wachtürmen der einzelnen Abschnitte. Hier lagerten Waffen und hier waren die Soldaten stationiert.

Gut 4 Meter breit und etwa 8 Meter hoch, wurde die Mauer hier gebaut. Man hat sie auf dem spitzen, bewaldeten Bergkamm errichtet, was den Bau zu einer architektonischen und logistischen Meisterleistung werden ließ. Die Mauer besteht aus Naturstein oder gebrannten Steinen, als Mörtel wurde Brennkalk verwendet. Das Fundament wurde mit Lehm und Sand befestigt.

Diese Große Mauer steht für Chinas Größe, für seine Leistungsfähigkeit, für sein historisches Denken und für sein Selbstwertgefühl. So mag diese Mauer den Wilden und den Unzivilisierten Einhalt bieten, wobei interessanterweise im Norden ja nicht nur die Reiterhorden der Mongolen zu finden waren. Die konfuzianischen Chinesen fühlen sich nicht nur den Nordasiaten zivilisatorisch überlegen, sondern auch den Europäern.

Ein Konfuzianer besitzt einen langenAtem: Die Chinesen denken nicht in Jahren oder Generationen, das veranschaulicht der Bau dieser großen Mauer, sie denken in Dynastien. Insgesamt hat man fast zweitausend Jahre an dieser Mauer gebaut. 214 v. Chr. wurde der erste Schutzwall errichtet, erst im 16. Jahrhundert, während der Ming Dynastie, war sie halbwegs fertig.

Mein Mauerabschnitt bietet nicht nur Anschauung in Architektur und Geschichte, sondern auch eine Menge Annehmlichkeit und Spass. Bei Mutianyu gondelt der Besucher in einer zweisitzigen Sesselbahn bequem den Berg hinauf und hinab geht es dann mit noch mehr Tempo: mit einem Einer-Bob auf einer Messingbahn das kurvige Geländer hinunter bis zur Talstation.

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Wahrhaftigkeit

Photo by W. Stock

All good books have one thing in common – they are truer than if they had really happened.

Alle guten Bücher haben eines gemeinsam:  Sie enthalten mehr Wahrheit als wenn sie wirklich geschehen wären.

Ernest Hemingway

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In der Leprakolonie

Photo by Norbert Böer

San Pablo/Peru, im Dezember 1985

Für einen solchen Trip würden wir keinen verlässlichen Schiffsführer finden, meint der Bootsverleiher zu uns, dahin würde uns keiner fahren. Wir sollen uns diese Schnapsidee schleunigst aus dem Kopf schlagen, wir seien ja nicht ganz dicht. Tagelang laufen wir von einem Schiffsverleih zum anderen auf der Suche nach einem Boot. Am dritten Tag schließlich finden wir einen Eigner, der uns sein Boot überlassen würde, claro, bei dem Ziel allerdings doppelter Preis – und nur, wenn der Schiffsführer mitspiele. Der junge Asunción, ein 18-jähriger Indio mit stoischen Gesicht, hört sich unser Vorhaben an und er nickt nur kurz als er das Wort Lepra hört.

Kurz vor 6 Uhr, mit dem ersten Licht des Morgens, legen wir ab. Das kleine Motorboot ist vollgestopft mit Proviant und im Heck mit zwei wuchtigen Benzinfässern mit dem Reservesprit. In Asunción haben wir einen Glücksgriff getan, der junge Amazonas-Indio kennt sich in der Region und auf dem Fluss aus wie kein zweiter. Er wird uns zur Kolonie bringen.

Am späten Nachmittag legt unser kleines Schiff in der unberührten Bucht unterhalb der Leprakolonie San Pablo an. Im Nu umringt uns ein Dutzend lärmender Kinder, ein älterer Mann kommt den Abhang herunter und heißt uns Willkommen. Der Empfang in der Leprakolonie ist herzlich. Wir, die Journalisten aus Alemania, werden bestaunt wie Außerirdische. Nun, meint der Franziskanermönch, der die Kolonie leitet und uns am Boot abholt, man freue sich über jeden Besuch, aber offen gesagt, man sei nicht auf ihn eingestellt. In der Kolonie sei schon seit Monaten niemand mehr vorbei gekommen. Und er reicht mir seine Hand zum Gruß.

Eine Leprakolonie hat natürlich kein Hotel und so bietet man uns ein Zimmer im kargen Hospital an. Eigentlich sind das bessere Holzverschläge, ebenso wie die Toilette. Die Nacht in der Leprakolonie endet abrupt. Punkt 5 Uhr 30 tönt eine sonore männliche Stimme aus den zahlreichen Lautsprechern, die, auf langen Holzstangen befestigt, über die ganze Kolonie verteilt sind: “Guten Morgen, hier spricht Manuel Rodriguez. Ich wünsche allen Bewohnern von San Pablo einen wunderschönen Tag. Und jetzt alle raus aus den Betten, Ihr Faulpelze!“

Don Manuel ist der Entertainer der Lepragemeinde. Zuerst dankt er Gott, anschließend verkündet er die Lokalnachrichten, die Preise für Fisch und Obst, die Todesfälle. Die Radiostimme des Lepradorfes gehört einem geachteten Mann, und Manuel Rodriguez ist nicht nur wegen seiner launigen Moderationen respektiert. Denn im Hauptberuf verwaltet der 50-jährige das Geld der Leprakranken. Die Krankheitsbilanz des Bankdirektors: ein Bein weg, der andere Fuß, die Finger. Aber an der Schreibmaschine sei er flink wie ein junger Hüpfer, doch leider, den Banküberfall damals, den habe er nicht verhindern können.

Seit 5 Jahren sind die Doctora Carmen Orts und ihre Kollegin Pilar Bandrés in San Pablo. Ihr Missionsorden hat die beiden Spanierinnen in den tiefen Urwald geschickt. „Vor uns war lange Zeit kein Arzt hier“, klagt die 32-jährige Carmen, „kein peruanischer Arzt will den Job übernehmen.“ Wegen der miserablen Bezahlung. Und früher, da hätten die Ärzte ihre Patienten nicht einmal anzupacken gewagt. Vielen Leprakranken werden Hände oder Füße amputiert, um den Vormarsch des Leprabazillus zu stoppen. Denn der Erreger dringt durch die Haut in die Nervenenden ein und tötet sie ab. Von Füßen und Händen aus wandert er hinauf zu Kopf und Gehirnnerven. Im Gesicht bilden sich im Endstadium poröse Hautknoten, die Haare fallen aus, ganze Körperpartien verfaulen.

Und auch jeden Abend ertönt aus den Lautsprechern eine romantische Melodie und danach die vertraute Stimme des Bankdirektors. Don Manuel dankt Gott für den herrlichen Tag und fängt an, die Abendnachrichten zu verlesen. Der Licht-Generator hat für heute seine Schuldigkeit getan, das monotone Surren der Maschine geht über in die friedvolle Stille der Natur.

Es wird dunkel und aus dem Dschungelgestrüpp ertönt das Quaken der Frösche und das Zirpen der Zikaden. Eine neue Nacht legt sich bedächtig über das kleine Lepradorf.

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Hero Kind lebt auf Sylt und es geht ihm gut

Hero Kind in Keitum/Sylt, Mai 2008; Photo by W. Stock

Das sind Stunden, die man sich nicht wünschen kann im Leben: Am 2. Juni im Jahr 1996, es ist ein Sonntagabend, ist Hero Kind in seinem Düsseldorfer Wohnzimmer umgefallen. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Schlaganfall. Nach ein paar Tagen zwischen Leben und Tod und drei Wochen künstlichem Koma hat sich der ehemalige ECON-Verleger mit Disziplin und eisernem Willen in diese Welt zurück gekämpft.

Das war vor 14 Jahren. Heute lebt Hero Kind auf Sylt, wo er in Keitum ein schönes altes Friesenhaus am Wattmeer besitzt. Gesundheitlich geht es Hero Kind gut, den Umständen entsprechend, wie man so sagt. Noch immer haben Nachwirkungen der Krankheit sich nicht vertreiben lassen. Da sind vor allem noch die lästigen Lähmungserscheinungen in Bein und Arm.

Aber im Kopf, und das ist die gute Nachricht, da ist er hellwach. Er weiß Bescheid, was so vor sich geht in der Welt und in der Buchbranche. Wie früher sprudeln die Ideen aus ihm heraus, er hat kreative Geistesblitze auf der Höhe der Zeit, er entwirft neue Produkte, er hat pfiffige Marketing-Einfälle.

Und er erinnert sich noch an so vieles und an so viele aus seinen ECON– und Metropolitan-Tagen. Er kennt Namen, die ich schon längst vergessen habe und weiß um Autoren, die vor einem Vierteljahrhundert den Verlag besucht haben. Und – das ist das Schönste – er hat sich nach wie vor seinen trockenen Humor und seine Selbstironie erhalten.

Am Leben nimmt Hero Kind, ein Jurist des Jahrgangs 1944, rege teil. Er ist Nachrücker im Kirchenvorstand von Keitum, einmal die Woche geht es zum therapeutischen Reiten. Er liest viel, jeden Tag die Financial Times Deutschland, jede Woche Die Zeit und auch das Buchgeschehen verfolgt er aufmerksam. Manche Verlagshäuser schicken ihm Vorschauen. Einen Verlag wie den von Antje Kunstmann bewundert er, der entspricht seiner Philosophie: außergewöhnliche Autoren, anregende Themen, schöne Ausstattung.

Der Buchhändler Schwarz aus Keitum, der einen kleinen und schönen Laden am südlichen Kliff besitzt, kommt jeden Geburtstag bei ihm vorbei. Und ab und an rufen Kollegen an oder sagen Guten Tag, wenn sie auf der Insel sind. Das freut ihn, da lebt er auf, denn er möchte dieser sympathischen Buchbranche und seinen Menschen noch so viel mitteilen.

Hero Kind kann sich in Haus und Garten bedächtig, aber selbstständig bewegen, für Strecken im Ort nutzt er den Rollstuhl. Auch längere Reisen sind möglich, ein Mallorca-Urlaub zum Beispiel oder der Trip nach Berlin.

An seiner Seite seine Frau Simone, der Hero Kind verdankt, dass seine Genesung so kräftige Fortschritte gemacht hat. Die beiden Kinder, Juristen ebenfalls, kommen oft zu Besuch. Bei seiner Familie findet Hero Kind den Rückhalt, den er braucht, um jeden Tag ein wenig mehr zu genesen. Und auch die Ruhe und das Heilklima von Sylt tun das ihre dazu.

siehe auch: Hero Kind, der letzte ECON-Verleger

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Miles Davis, der Gott der Trompete, spricht

Photo by Volker Wagner

Den Haag, den 15. Juli 1984

Miles, Sie sehen gesund aus..
Ja, das ist so. Mein Körper ist ausgeglichen. Wenn man sich gut fühlt, kann man auch gut spielen. Wenn dir dein Körper sagt, das stehst du durch, dann kannst du es schaffen.

Sie wenden sich bei Ihren Auftritten dem Publikum nicht mehr ab, kehren ihm nicht mehr den Rücken, so wie früher…
Ich weiß nicht, was ich auf der Bühne tue. Die Bühne ist ein weites Feld. Und von jedem Punkt klingt der Sound anders. Ich blase meine Trompete und vergesse alles um mich herum.

Warum spielen Sie?
Das ist wie eine Sucht: Ein Drang tief in mir. Das muss einfach raus.

Und was bedeutet Jazz?
Keine Ahnung.

Und was bedeutet Ihnen das Wort Jazz?
Jazz bedeutet schwarz. Schwarze Musik. Nein, Unsinn, ich mag dieses Wort, schwarz, nicht. Nigger. Nigger-Musik. Jawohl, Jazz ist Nigger-Musik.

Glauben Sie, dass der Jazz das Business des weißen Mannes ist?
Genau das!

Warum reizt es Sie, mit jungen Musikern zu spielen?
Jung, alt? Was zum Teufel hat das zu bedeuten?!

Das frage ich Sie…
Das spielt keine Rolle. Alter ist unwichtig.

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