Reisen & Begegnungen

Autor: Wolfgang Stock Seite 17 von 22

Peter Drucker, der Große

Peter Drucker

Peter Drucker

Frankfurt am Main, den 7. Juni 1990

Der Management-Professor nimmt mich freundschaftlich am Arm. Nennen Sie mich Peter, meint Peter F. Drucker bei unserem ersten persönlichen Zusammentreffen 1990 ganz amerikanisch. Ich zögere. Peter, nein, das will mir nicht über die Lippen, selbst wenn mein Verstand es will.

Ich kann diesen Mann, der fast fünf Jahrzehnte älter ist als ich, nicht mit dem Vornamen anreden. Peter, das geht einfach nicht. Ich bleibe zeitlebens beim Professor Drucker. Dabei sind es nicht die Jahre, die zwischen uns liegen, das ist es nicht. Es ist einfach die Statur, die Lebensleistung und auch die Ehrfurcht.

Peter Ferdinand Drucker ist der geistige Vater des modernen Managements, der Lehrmeister eines jeden, der gestern und heute in der Wirtschaft Verantwortung trägt. Die Generation, die in den 60er und 70er Jahren an der Universität war, die hat ihn im Studium gelesen. Und auch jene, die nicht studieren konnten, haben seine Bücher verschlungen, weil er sehr klar und verständlich zu schreiben vermochte.

In seinen gut fünfzig Büchern, fast jedes Jahr hat er eines geschrieben und veröffentlicht, brachte der gebürtige Wiener und Exil-Amerikaner einer sich schnell wandelnden Wirtschaft das moderne Management nahe. Drucker hat all das aufgeschrieben, was er in den USA und in Japan beobachtete, er hat dies mit einem profundem historischen Verständnis und einer umfassenden philosophischen Kenntnis zu einer stimmigen Anleitung für die Praxis entwickelt.

Er war mehr Wirtschafts-Historiker denn Management-Guru. Er hat alle wichtigen Themen früh, manchmal als erster, angesprochen. Dezentrales Management, Qualitätsmanagement, technologische Erneuerung, Prozessmanagement, nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften, Personalführung, Non-Profit-Management – alles Peter Drucker.

Dieser Mann war so zeitlos klug, man kann auch sagen, weise. Companies don’t make money, companies make shoes. Besser als Peter Drucker kann man es nicht auf den Punkt bringen, und in diesem Bonmot zeigt sich wie aktuell Drucker heute noch ist. Der Gewinn ist für einen guten Unternehmer nicht das Ziel, sondern eine Folge der Zielerreichung.

Für die Wirtschaft und das Management bleibt Peter Drucker der Größte. Er setzt den Maßstab. Mehr geht nicht. Peter Drucker war der geistreiche Wirtschaftsdenker meiner Generation und jener davor. Eigentlich gibt es für mich nur zwei große Denker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der andere heißt Karl Popper. Auch ein Wiener. Auch ein Exilant.

Von allen Autoren, die ich hatte, verehre ich Peter Drucker am meisten. Noch heute kriege ich eine Gänsehaut vor lauter Hochachtung. Hochachtung vor einem Jahrhundertdenker. Ein großer Denker, der als bescheidener und sympathischer Mensch in Erinnerung bleibt.

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Paris – ein Fest fürs Leben

Photo by W. Stock

If you are lucky enough to have lived in Paris as a young man, then wherever you go for the rest of your life, it stays with you, for Paris is a moveable feast.

Wenn du soviel Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Ernest Hemingway, 1950

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Mi Buenos Aires

Photo by W. Stock

Buenos Aires, im Januar 1988

Stünde ich vor der kniffligen Entscheidung, die schönste Metropole dieser Welt bestimmen zu müssen, dann würde wohl vieles auf diese Stadt zulaufen. Klima, Gastronomie, Musik, Literatur, Fussball, Lebendigkeit – Argentiniens Hauptstadt beflirtet den Besucher heftig mit ihren Reizen. Kommt man nach Buenos Aires, so  merkt man der Stadt schnell an, wie glanzvoll ihre Vergangenheit war. Man wird erschlagen von prächtigen Fin de siècle-Bauten, breiten Avenuen und monumentalen Denkmälern.

Noch immer sieht man dieser Metropole den bürgerlichen Pomp und Prunk großer Jahre an. Jedoch verspürt man genauso schnell, dass ihre Gegenwart ein wenig zweifelhaft scheint und auch der nahen Zukunft mag man nicht so recht über den Weg trauen.

Fast hat man vergessen, dass Argentinien in den 40er Jahren eines der reichsten Länder dieses Erdballs war. Jedoch haben unfähige und korrupte Regierungen dieses Land der weiten Getreidefelder und der riesigen Rinderherden langsam aber sicher aus voller Blüte in ein Armenhaus der Dritten Welt herunter gewirtschaftet.

Als ich Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal Buenos Aires besuche, ist dies eine Großstadt, in der so vollgestopfte Buchhandlungen zu finden sind wie sonst nirgendwo in Amerika. In jenen Tagen brauchen sich die Theater, die Kinopaläste und Musikhallen nicht vor denen Italiens oder Frankreichs zu verstecken. Diese Stadt bleibt dem Genuss und den schönen Künsten zugeneigt, ihre DNA scheint ein sonnenverwöhnter Mix aus savoir vivre und la dolce vita. Also fast das Paradies.

An den Sonntagen breitet der Trödelmarkt in San Telmo, dem Künstler- und Studentenviertel, seine Waren aus. An angestaubten Folianten und wieder blank polierten Grammophonen lässt sich ablesen, dass diese Nation einst von Einwanderern gegründet worden ist. Mitten auf dem Platz stehen die Alten, die hier nicht Schach oder Domino spielen, sondern den Tango singen.

Meist in ein angenehm temperiertes Wetter gehüllt, kommt diese Stadt an guten Tagen daher wie eine tropische Mischung aus Florenz und Paris. Buenos Aires erscheint mir als Weltstadt, die in ihrem Zentrum aussieht wie die schönste aller europäischen Metropolen, deren blankes Elend jedoch nur drei Straßenzüge weiter beginnt und sich endlos in die Peripherie hineinbeißt.

Wenn man in diesen besseren Jahren abends ein Restaurant besucht und sein Asado, die über dem offenen Feuer gegrillte Rinderlende, bestellt, so bekommt man auf einem großen Teller das Fleisch, das zudem noch über den Tellerrand schlägt und erst auf einem zweiten, etwas kleinerem Teller werden die Beilagen, meist Kartoffeln und Gemüse, gereicht.

Wie eine Oase der Lebenslust kommt einem diese Stadt entgegen. In den Cafés, die in den Nebengassen der Calle Lavalle zu finden sind, trinken die Argentinier, jung und alt, reich oder verarmt, gemächlich ihren café cortado und vielleicht auch den einen oder anderen roten Pinot Negro gegen die schlechten Politiker.

Mi Buenos Aires querido, heißt das Lied dieser Stadt, quando te vuelvo a ver. Mein geliebtes Buenos Aires, wann werde ich dich wiedersehen. Und der Tango fragt, aber eigentlich scheint jene Frage mehr ein Bitten und Betteln. Ein Wunsch jedenfalls, der in der Erkenntnis mündet, diese Stadt möge einen niemals loslassen. Nicht in den guten und auch nicht in den düsteren Tagen.

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Helmut Kohl kommt auf die Buchmesse

Photo by Hasso v. Bülow

Frankfurt am Main, im Oktober 1991

Durch Zufall, Glück oder Absicht bin ich einigen deutschen Bundeskanzlern begegnet.

Da war Willy Brandt, mit dem ich lange in seinem letzten Wohnort in Unkel am Rhein bei einem Rotwein an einem Tisch im Café am Markt saß. Oder Gerhard Schröder, den ich als junger Journalist interviewen durfte und dem ich später bei einer Fernsehsendung in Frankfurt erneut über den Weg lief. Und da war Helmut Kohl, der einmal auf der Frankfurter Buchmesse plötzlich am ECON-Stand auftauschte.

Es war schon vorher etwas Unruhe zu spüren, als ein paar kräftige Männer mit Walkie Talkie und leicht ausgebeulten Achsehöhlen zwischen unseren Buchregalen auftauchten. Was denn los sei, traute sich einer zu fragen. Der Kanzler kommt, war die knappe Antwort.

Verleger Hero Kind begrüßte ihn freundlich. Und Gertrud Höhler, ihren frischen Bestseller Spielregeln für Sieger in der Hand, versuchte ein Gespräch mit dem Kanzler. Aber alle Umstehenden merkten schnell: Helmut Kohl ist kein Meister des Small Talks, er ist wohl auch kein besonders guter Zuhörer. Mir fiel vor allem sein Mangel an Humor auf, denn bei so einer kurzen Begegnung platziert man eine knappe ironische Bemerkung, ein lustiges Bonmot, aber selbst den Humor ging der Kanzler Kohl mit wackerer Ernsthaftigkeit an.

Man sollte sich hüten, nach wenigen Minuten auf einen Charakter zu schließen, aber oft ist der erste Eindruck ja auch der Richtige. Der Pfälzer tut sich schwer mit dem Räsonieren, mit der Literatur, mit modernen Themen. Vielleicht fehlt das Interesse, die Offenheit wahrscheinlich, mag sein, der Mann hat Wichtigeres zu tun.

Überhaupt schien mir dies Mensch mit, nun ja, fokussierter Sicht. Was ihn nicht interessierte, mit dem befasste er sich nicht gerne. Aber vielleicht war es auch so, dass der Gesprächspartner bei ihm nicht das richtige Thema oder den richtigen Ton traf.

Insgesamt war er mir nicht unsympathisch. Seiner Politik haftete nichts Spektakuläres an, mit 90 Prozent stimmte ich überein, und die deutsche Einheit hat er mit Bravour gemanaged, dort, wo alleine im Denken andere grandios gescheitert sind.

Ich bin in seinem Land geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe Abitur gemacht, als er der Ministerpräsident war. Ich weiß, wie dieses Land, es heißt Rheinland-Pfalz, tickt. Es ist ein Landstrich ohne Metropole, ohne Tor zur Welt, und auch ohne ausgeprägte intellektuelle Neugier und Weltoffenheit. Statt dessen zeigt sich dieses Bundesland ehrlich, rechtschaffen und anständig, aber im Kern doch erschreckend bieder und hausbacken.

Kohl haftete der Ruf eines Provinzlers an, und wahrscheinlich stimmte das, im Guten wie im Schlechten. Er besaß nicht die Gewitzheit eines Konrad Adenauer, nicht die Weltläufigkeit eines Hemut Schmidt, nicht das Visionäre eines Willy Brandts. Helmut Kohl war der Landrat, der sich plötzlich auf dem Stuhl des Bundeskanzlers wiederfand. Und jemand, das muss eingeräumt werden, der mit den Aufgaben wuchs.

Am ECON-Stand, da war er kurz, blätterte in ein paar Büchern, und zog nach fünf Minuten weiter.

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Mick Jagger als Schauspieler in dem Film ‚Fitzcarraldo‘

Mick Jagger
actor
Iquitos
Fitzcarraldo
Mick Jagger spielt den Wilbur in Werner Herzogs Film Fitzcarraldo.
Iquitos, im Januar 1981; Foto by W. Stock

Iquitos/Peru, im Januar 1981

Wenn einer der ganz großen Musiker unserer Tage in die kleine Stadt kommt, dann steht diese kleine Stadt tagelang Kopf. Reporter aus aller Welt treten sich auf die Füsse, die Fernsehkameras schnurren und junge Burschen wachen eifersüchtig über ihre Bräute. Wuselige Presseagenten schirmen die Berühmtheit ab und ein paar Bodyguards tun ein Übriges. Solch einen Rummel kann man bei einem Weltstar doch erwarten.

Nicht jedoch hier, im abgelegenen Dschungel Perus, über tausend Kilometer entfernt von der hektischen Metropole Lima und fünfzehn Flugstunden von Europa. In einer Stadt, die von der Außenwelt abgeschnitten ist, zu der keine Straße hineinführt und keine hinausgeht. Nur über den Oberlauf des Amazonas oder mit dem Flugzeug vermag man in diese Sonnen-Oase Perus gelangen. Merken Sie sich den Namen dieses Juwels: Iquitos!

Da kommt der Chef der berühmtesten Rock-Band der Welt in den Urwald – und nur ganz wenige nehmen Notiz davon. Man mag es kaum glauben, aber es ist so geschehen. Bis auf ein paar eurozentrische Eierköpfe weiß hier in den Tropen rund um den Amazonas so gut wie niemand, wer denn dieser junge schlaksige Mann mit dem rotblauweiß karierten Hemd und dem schon leicht zerknitterten Gesicht nun genau ist.

Ein Künstler aus London, wird geflüstert. Schauspieler vielleicht oder auch ein Sänger, all das wird in Iquitos geraunt. Seine Frau, ein blasses bildschönes Model, ist im Hotel geblieben, am Pool im Holiday Inn, in der Nähe vom Flughafen. Rolling Stones? Musik. Schön und gut. Aber kann man damit Geld verdienen? 

In Peru Mick is nothing, brummelt er halb belustigt und setzt seinen einfachen Strohhut auf. Mick Jagger genießt es, hier und heute ein Unbekannter zu sein. Bei den Dreharbeiten zu Werner Herzogs Filmepos Fitzcarraldo dreht sich alles um Claudia Cardinale, die Hauptdarstellerin aus Italien, deren apartes Antlitz man aus den Klatschseiten der Zeitungen kennt. Aber Mick, Mick is nothing in Peru.

In seiner freien Zeit filmt er mit seiner Nikon die Filmarbeiten. Mick Jagger ist für die Rolle des Wilbur besetzt, das ist der etwas durchgedrehte Kumpan von Fitzcarraldo. Und diese ganze Filmerei macht ihm sichtlich Spaß. Wenn Mick in seiner weißen Leinenkleidung neben Jason Robards, der den Fitzcarraldo gibt, agiert, dann merkt man schnell, hier ist jemand mit Elan, mit Leidenschaft und auch mit Talent bei der Sache.

Und Mick Jagger füllt seine Filmrolle in einer sympathisch skurrilen Interpretation wunderbar aus. Der in Ehren ergraute Schauspieler-Kollege Robards, ein großer amerikanischer Theatermann, lobt seinen Kompagnon denn auch in hohen Tönen. Nach einer Dialogszene, die Kameras sind abgeschaltet, klatscht Robards kräftig Beifall in Richtung Jagger, und beide brechen in fröhliches Lachen aus.

Es stehen Dreharbeiten im Urwald an. Regisseur Werner Herzog hat im Wipfel eines riesigen Amazonasbaumes, in fast 30 Metern Höhe, eine Plattform aus Spanplatten bauen lassen. Auf dieser Plattform, die bei Wind hin und her weht, soll gefilmt werden. Dort oben sollen Jason Robards, immerhin ein Mann von knapp 60, und Wilbur ihren Blick über den weiten, üppigen Amazonasteppich streifen lassen. Und zum guten Ende soll in luftiger Höhe auch eine kleine Rauferei zwischen Robards und Jagger stattfinden, wobei der Kopf des einen über die Brüstung mit Blick in die Tiefe gedrückt werden soll.

Burschikos legt Regisseur Werner Herzog seinen Arm um Mick Jaggers Schulter. Morgen früh gehen wir rauf, sagt Herzog zu Jagger. Und Mick schaut nach oben.

siehe auch:  Mick Jagger im Dschungel – und noch einer

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Miles Davis – Trompeter, Genie, Kotzbrocken

Miles Davis: Time After Time, Montreal 1985.

Der amerikanische Trompeter Miles Davis war für die moderne Musik das, was Pablo Picasso für die Malerei und Charles Chaplin für den Spielfilm waren – ein über Jahrzehnte eigensinniger Innovator und intelligenter Stilpräger.

Miles Davis gilt als Gründer des Cool Jazz, er trieb den Bebop voran und spielte dann im Fusion, jenen Mix aus Jazz und Rock, eine tragende Rolle. Und dann zum Schluss kam der Electric Jazz. Plus populäre Songs. Wenn er mit seiner gestopften Trompete Pop-Balladen wie Time after time zelebrierte, entströmte da die ganze Herrlichkeit und zugleich auch der ganze Schmerz einer suchenden Generation aus seinem goldenen Instrument. Miles ist mehr als ein Musiker, er ist unser Master, der Champion, ein Genius der sperrigen Virtuosität.

Sicher, Miles war kein einfacher Mensch, aber man zeige ein Genie, das einfach wäre. Ein ziemlicher Kotzbrocken soll er gewesen sein. Es gab auch Kritiker, nicht an der Musik, natürlich, aber am Charakter. Wieder einmal hat der liebe Gott, wie schon bei Wagner und Karajan, in einem Anfall von Zerstreutheit eine große Begabung an ein großes Arschloch vergeben, das schrieb beispielsweise der Jazzjournalist Werner Burkhardt über Miles Davis.

Dieser Jazzmusiker war ein Star, jemand der Hallen und ein Festivalgelände locker füllen konnte. Es war schon seltsam, wie Miles Davis da auf der Bühne stand, der Rumpf vornüber gekrümmt, den – naja – verlängerten Rücken dem Publikum zu gewandt. Aber Miles war kein Mann der Kompromisse. Er blieb kompromisslos der Musik verfallen.

Die Musik des Künstlers nimmt das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf. Seine surreal hauchende Trompete dient den Pariser Existenzialisten zur Inspiration. Sein brillanter Ton trifft die kühle Leidenschaft der an Gott und an der Welt verzweifelnden jungen Intellektuellen vom Montmartre bis Berkeley .

Er selbst nennt sich Prince of the Darkness. Und er ist von einer beeindruckenden Kreativität. Bitches Brew, We Want Miles, Kind of Blue und Some day my prince will come – mindestens vier Platten plaziert Miles Davis auf der ewigen Bestenliste des Jazz. Konservativ gerechnet.

Man kann Miles Davis zehn Mal, man kann ihn hunderte Male hören, stets entdeckt man etwas Neues, etwas Überraschendes. Die Musik von Miles Davis scheint – so wie eine schöne Liebe – ewig jung zu bleiben und alterslos zu sein. Wenn ich Miles höre, so denke ich, wie kann einem einfachen Stück Blech nur ein solcher Liebreiz und eine solche Schönheit entströmen?

Miles Davis, eigentlich ein Mann für die Ewigkeit. Irgendwann hat es den schwarzen Prinzen dann doch erwischt. 1991 stirbt er in Santa Monica. Er konnte nicht mehr spielen. Lungenembolie sagen die einen, Aids, die anderen. Alles Unsinn, die Wahrheit ist diese: Erst stirbt die Trompete, dann der Mensch.

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Hero Kind, der letzte ECON-Verleger

Hero Kind

Hero Kind mit Gertrud Höhler; Frankfurt am Main, im Oktober 1991; Photo by Hasso von Bülow

Der Verlagsgründer Erwin Barth von Wehrenalp musste ECON verkaufen und über einen Umweg beim Schroedel Verlag landete ECON schließlich bei Dietrich Oppenberg, dem Verleger der NRZ, der Neuen Ruhr und Rhein Zeitung aus Essen. Der Zeitungsmann Oppenberg übertrug die operative Führung des Düsseldorfer Verlages seinem Assistenten Hero Kind.

Mit dem jungen Hero Kind zog dann eine andere Generation in den ECON Verlag ein. Und ein auch anderes Denken. Ein ganz anderes Denken.

Der promovierte Jurist hat den Verlag von 1982 bis 1994 geleitet, und er schaffte es, ECON zu einem modernen Sachbuchverlag zu verändern. Vor allem hat Hero Kind dabei den Markencharakter von ECON betont und mit brillantem Gespür – von der Vorschau über die Autorenauswahl bis zur Covergestaltung – eine neue Qualität und Ästhetik entwickelt, die damals als state-of-the-art galt.

Kind sah gute Bücher nicht als austauschbare Massenware. Deshalb hat er dem ECON Verlag und seinen Büchern ein frisches, eigenständiges Profil verpasst. Auf ihn geht der feine Schriftzug in Helvetica und der vertikale rote Balken zurück, das Markenzeichen des Verlages über viele Jahre. Kind trimmte ECON auf Wiedererkennung. Bücher als Markenprodukte, das begann die Branche erst langsam zu erkennen, ihm war das sehr früh klar.

Kind und sein ECON Verlag residierten in der Kaiserswerther Strasse 282 im feinen Düsseldorfer Norden. Mit lausbübischem Charme hat er unaufgeregt über seinen Verlag regiert und innovativ gewirkt: Er ließ den Jil Sander- und Joop-Designer Peter Schmidt Taschenbuchcover entwerfen, er brachte die SINUS-Lebensweltenanalyse in die Buchwelt ein und er holte frische Vor- und Querdenker wie Norbert Bolz, Peter Glotz oder Tom Peters als Autoren in den Verlag.

Mit zeitlichem Abstand wird heute klar, dass Kind seiner Zeit sicherlich fünf bis sieben Jahre voraus war. Strategische Ansätze wie Zielgruppenvernetzung, Kundenbindung und neue Ästhetik wurden erst viel später in ihrer Wichtigkeit von der Branche aufgenommen. Hero Kind war ein pragmatischer Stratege, der offen blieb für Neues. Er war zudem jemand, der ein gutes Näschen für Trends besaß und vor allem ein feines Gespür für Qualität und Erneuerung. Eigentlich kann man erst jetzt erkennen, wie gut dieser Mann war.

Im Jahr 1996, da hatte er bereits seinen eigenen Metropolitan Verlag, da ist er an einem Sonntagabend einfach umgefallen. Im besten Mannesalter. Er lag tagelang im Koma, doch der liebe Gott hatte ein Einsehen. Hero Kind erholte sich und genießt heute in seinem Friesenhaus am Keitumer Wattmeer sein Sylt.

Von all meinen Vorgesetzten hat er mich am nachhaltigsten beeinflusst und wohl auch geprägt. Er ist ein Mensch, mit dem man – fachlich wie menschlich – gerne zusammen arbeitet. Von Hero Kind habe ich mir eine Menge abgeschaut. Er war ein fachlich kompetenter und persönlich integrer Verleger. Kein Hoppla-jetzt-komm-ich-Typ, sondern ein gebildeter, offener und nachdenklicher Zeitgenosse.

Erwin Barth von Wehrenalp war der erste ECON-Verleger, Hero Kind der zweite. Danach kam nichts mehr. Jedenfalls kein Verleger. Nur noch Manager.

siehe auch: Hero Kind lebt auf Sylt und es geht ihm gut
siehe auch: Wie Erwin Barth von Wehrenalp „Mister Sachbuch“ wurde

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Klaus Voormann, der fünfte Beatle

Tutzing, im Februar 2008

Klaus Voormann nippt sorgsam an seiner Tasse mit grünem Tee und blickt auf den See. Eine bemerkenswerte Anmut zeigt der Starnberger See im Februar, wenn am späten Nachmittag die kahle und karge Landschaft von der untergehenden Sonne vergoldet wird.

Er wird in zwei Monaten 70, im Kopf fühlt er sich aber immer noch wie 25. Der hagere Mann mit den wehenden weißen Haaren hat Pop-Geschichte geschrieben, denn kein Deutscher ist den Beatles so nahe gekommen wie er.

Im Sommer 1971 spielte Klaus Voormann den Bass bei einem der schönsten Pop-Songs aller Zeiten: Imagine. Da war er zusammen mit John Lennon im Studio.

Die Freundschaft von Klaus Voormann mit der größten Pop-Gruppe aller Zeiten begann in Hamburg, im Oktober 1960. Unweit der Reeperbahn hörte der gebürtige Berliner aus dem Kaiserkeller die Musik einer jungen Band, die ihn faszinierte. John, Paul, George, Stuart (Sutcliffe) und Pete (Best) hießen die Jungs aus Liverpool – als Beatles sollten sie in den nächsten Jahren die Musik revolutionieren. Klaus zeigte John Lennon einige Cover-Illustrationen, die er gezeichnet hatte. Sie gefielen John. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft mit den Fab Four.

Klaus ging später nach London, wohnte bei George und Ringo, der Pete Best in der Band ersetzte. Von 1966 bis 1969 war er dann Bassist in der Manfred Mann Band, ab 1969 holte ihn John Lennon als Gründungsmitglied seiner Plastic Ono Band. Später spielte Klaus Voormann noch bei George Harrison und auch beim legendären Concert for Bangladesh im Madison Square Garden am 1. August 1971 war er dabei.

Was macht die Beatles aus? Klaus Voormann zögert keinen Augenblick. Der gegensätzliche Charakter der Bandmitglieder. Da war der extrovertierte Paul, der intellektuelle John, George, der die Sprache der einfachen Leute sprach. Und noch eines: Die Beatles waren offen und innovativ. Sie nahmen neue Einflüsse auf: indische Musik, neue Instrumente, andere Klangformen. Während die meisten Bands jene Musik spielten, die von ihren Hörern erwartet wurde, zogen die Beatles ihr Ding durch.

Worauf er besonders stolz ist? Das hochgelobte Cover zur Beatles-Platte Revolver. Da ist er, Klaus Voormann, der Künstler und Grafiker. Er malt und zeichnet immer noch viel, mit seinem für ihn typischen Strich. Er hat gerade von den Liverpooler Stadtoberen den Auftrag über ein neues Werk für das dortige Museum erhalten. Auf seiner Homepage www.voormann.com kann man die Vielfalt seiner Arbeit bestaunen.

Was ist der schönste Beatles-Song aller Zeiten, frage ich ihn zum Abschied. Er zögert. Da kann man keinen hervorheben, meint Klaus, wo solle er da denn anfangen? Es sind einfach zu viele Meisterstücke. Strawberry Fields Forever, vielleicht, oder Fool on the Hill, nein, nein, es kann da keinen Favoriten geben. Einfach alles zu schön. Wunderschön.

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Hemingway schreibt

Photo by. W. Stock

Photo by W. Stock

For a long time now I have tried simply to write the best I can. Sometimes I have good luck and write better than I can.

Eine ziemliche Zeit lang habe ich nun versucht, so gut zu schreiben wie ich nur kann. Manchmal habe ich großes Glück und schreibe besser als ich kann.

Ernest Hemingway

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Die Stanford University schafft Studiengebühren ab – für Arme

Kein feines Café, sondern eine Arbeitsecke der Stanford University. Photo by W. Stock, im Jahr 2005.

Die Stanford University muss man sich in etwa so vorstellen: das innovativste und kreativste Bildungsangebot der Welt, und dies in einer Umgebung, die an das süße Leben in den Tropen erinnert. Solch ein Luxus – edukativ als auch ambiental – hat natürlich seinen Preis. Die Universität, eine halbe Stunde südlich von San Francisco bei Palo Alto gelegen, ist nicht nur eine der schönsten und besten Universitäten der Welt, sondern zugleich auch eine der teuersten.

Ein Studium an dieser kalifornischen Elite-Schmiede ist wahrlich kein billiges Vergnügen. Über den Daumen gepeilt, muss man pro Jahr mit ca. 40.000 Dollar tuition fees, den Studiengebühren, rechnen. Dazu kommen noch etwa 20.000 Dollar für Unterkunft und Verpflegung. Da addieren sich während eines Studiums locker 200.000 Dollar.

All das ist nicht billig, jedoch überaus preiswert. Denn für das Geld erhält man eine erstklassige Gegenleistung. Stanford kann einiges vorweisen: Einen wunderschönen Campus mit allen Annehmlichkeiten. Dozenten, die sich oft nur um 4 oder 5 Studenten zu kümmern haben, 16 Nobelpreisträger als Professoren und Vorlesungssäle mit modernster Technik und eigenem Techniker. Und vor allem: Ein offenes und kreatives Miteinander auf dem Campus. Firmen wie Google, Yahoo oder SUN wurden hier von Studenten gegründet. Stanford muss den chronisch unterfinanzierten deutschen Hochschulen wie ein akademisches Schlaraffenland erscheinen.

Die Aufnahmeprüfung ist knallhart. Nur 15.000 Studenten sind in Stanford eingeschrieben, auf einem weitläufigen Campus, größer als eine Kleinstadt. Durch Studiengebühren, Spenden und Zuwendungen der Alumni, der Ehemaligen, haben die amerikanischen Universitäten ein Vermögen angehäuft, das für deutsche Ohren unvorstellbar klingt. Stanford beispielsweise besitzt ein Stiftungsvermögen von 18 Milliarden Dollar, das professionell verwaltet, in guten Jahren zweistellig wächst.

Ist das Studium an Stanford deshalb nur etwas für Super-Reiche? Eine Elite-Universität nur für die Elite? Mitnichten! Die Stanford University erlässt Studenten aus armen Familien die Studiengebühren inklusive Nebenkosten für das undergraduate-Studium. Das scheint mir eine verrückte Entwicklung: Die mittelmäßigen deutschen Universitäten beginnen zaghaft Studiengebühren zu verlangen, eine amerikanische Top-Uni schafft die Studiengebühren für wenig Betuchte ab. Neben solchen Freiplätzen gibt es übrigens ein durchdachtes Stipendienprogramm sowie Studienkredite.

Mir scheint ein anderer Umstand erwähnenswert. Nämlich wie Stanford den Begriff Bedürftigkeit bei den Gratisplätzen quantitativ fasst. Bei einem jährlichen Familieneinkommen der Eltern von unter 100.000 Dollar werden fortan keine Gebühren mehr fällig. 100.000 Dollar, das sind knapp 80.000 Euro, gelten für Stanford als Armutsgrenze. Mit 80.000 Euro gehört man in Deutschland zum wohlsituierten oberen Mittelstand. Auch daran mag man erkennen, wie weit Deutschland abgerutscht ist.

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