Europa kann nicht gerade viele gute Pop- und Jazz-Sänger vorweisen. Die meisten kommen noch immer aus den Vereinigten Staaten, wo Tradition und Infrastruktur um einiges besser sind als in der alten Welt. Aber wenn man heute nach dem besten seiner Zunft fragen würde, dann würde wohl nicht ein Amerikaner, sondern der Brite Tom Jones ziemlich weit oben auf der Liste stehen.
Dieser Sänger ist ein Phänomen. Dies zeigt das Youtube-Video eindrucksvoll. Denn zwischen beiden Aufführungen von Fly me to the moon liegen, man mag es kaum glauben, schlappe 38 Jahre. 1969 in seiner Fernsehshow This is Tom Jones und 2007 im chilenischen Viña del Mar.
Aber auch der alte Tom Jones ist ein Junger. Noch immer hat der Waliser Tom Jones eine kraftvolle, klare Stimme. Was ihn auszeichnet: Er kann Bariton als auch Tenorstimme singen und seine Stimmumfang deckt sicherlich drei Oktaven ab.
Tom Jones ist einer der wenigen Crooner, die auch heute noch im gut Geschäft sind. Er überzeugt übrigens auch als jemand, der sich dem Neuen immer geöffnet hat, siehe Kiss oder Sexbomb, wo er HipHop-Elemente einbaut. Kein Zweifel, Tom Jones ist – gestern wie heute – einer der ganz Großen.
Welches dieser beiden Bilder ist das Original? Und welches ist die Fälschung? Ist nun das linke oder das rechte Bild von Pablo Picasso?
Gut, der Kunstliebhaber und Sammler erkennt schon die Unterschiede. Als Beispiel: In dem rechten Bild ist erkennbar mehr Spannung drin, in der Aufwärtsbewegung des Stieres, beim Torero. Der Schweif des linken Stieres ist ziemlich verunglückt. Nun ja, daran erkennt das Expertenauge: Rechts, das ist der echte Picasso.
Wobei man sagen muss, die linke Fälschung ist schon sehr gut. Sie stammt von einem Mann, der eine große deutsche Wochenillustrierte – und mit ihr gleich eine ganze Nation – über Wochen zum Narren gehalten hat. Konrad Kujau heißt der Fälscher.
Kujau war kein Kopist, sondern hat sich immer als Fälscher bezeichnet. Darauf legte er Wert: Keine Kopien zu malen, sondern Falsifikationen. Denn meist malte er im Stil eines Malers, aber er malte keine Bilder ab. Hier hat er eine Ausnahme gemacht.
Aber dieser Konrad Kujau war schon Spitze. Wie er bei der Fälschung den Bodenschatten gemalt hat, das gefällt mir besser als im Original, auch die Beine des Toreros. Man sieht, kein Zweifel, nicht nur malerisch war Konrad Kujau ein Schlitzohr. Kujau signierte deutlich mit der Unterschrift des Maestro und in die rechte untere Ecke plazierte er – kaum lesbar – sein Signet Kujau.
In seiner 50qm-Kellergalerie in Stuttgart wimmelte es von van Goghs, Toulouse-Lautrecs und Cesannes. Hier, im länglichen Souterrain der Schreiberstrasse 22, hingen neben den Gemälden und Skizzen auch allerlei Handschriften und Notenblätter. Befehle vom alten Fritz oder Partituren von, drunter tut Kujau es nicht, vom Wunderkind Wolfgang Amadeus Mozart. Das vergilbte Papier hübsch eingerahmt.
Ich besuchte Anfang der 90er Jahre die Galerie zwei- oder dreimal und fand den Meisterfälscher als kauzigen Spaßvogel mit fleißiger und kundiger Fälscherhand. Ich brauche heute nachmittag noch etwas Geld für’s Einkaufen beim Aldi, meinte er damals verschmitzt zu mir, da male ich noch schnell einen Matisse.
Am meisten lag ihm Pablo Picasso. Ein Normalmensch würde einen Kujau-Picasso für einen echten Picasso halten. So wie hochdekorierte Schriftexperten die Handschrift Kujaus für die Hitlers gehalten haben. Und nun ist Konrad Kujau selbst ein Star, der, als kuriose Fussnote, nun selbst kopiert wird. Fälschungen werden gefälscht.
Aber Kujau bleibt eine amüsante Fussnote im Kunstbetrieb. Als penibler Hitler-Fälscher wanderte er durch die Gazetten. Der Fälscher, so windig sein Metier auch sein mag, hat die Lacher auf seiner Seite. Über die Jahre wurde Konrad Kujau salonfähig. Aus einem falschen Picasso wird nun ein echter Kujau.
Henry Kissinger verehre ich als elder statesman. Als jemand, der sich Verdienste erworben hat, als jemand, auf den man hört und dem man gerne zuhört. Im Düsseldorfer Industrie-Club haben wir einmal kurz geredet, ein hochintelligenter Mensch.
Wir wissen, Henry Kissinger war ein großartiger Außenminister der USA. Der beste im 20. Jahrhundert. Ein Stratege, wie ihn die amerikanische Außenpolitik nur selten kannte. Den Friedensnobelpreis bekam er, weil er die Friedensverhandlungen mit Vietnam zum Erfolg führte.
Überdies ist der in Fürth geborene Henry Kissinger ein sympathischer und vor allem seriöser Zeitgenosse. Deshalb fuhr mir der Schreck in die Glieder, als ich an einem Kiosk in der mexikanischen Hauptstadt, in der Schmuddelecke, ein Heftchen entdeckte.
Si la cama hablara… – Wenn das Bett sprechen könnte, so der verheißungsvolle Titel. Und der Autor: Henry Kissinger. Auf dem Umschlag des Büchleins räkelt sich in voller Schönheit eine nackte Frau auf einer Matratze. Verkauf einzig nur an Erwachsene.
Coleccion Couple – so ist auf der Rückseite des Taschenbuches zu lesen. Die Buchreihe für das moderne Eheleben, möchte man sagen. Und ein schönes rotes Herz lacht uns an. Erotische Romane von Spitzenautoren des Genres, steht da weiter geschrieben. Ich kaufe Kissingers Büchlein für ein paar Pesos. Und fange an zu lesen…
Das junge Ehepaar, frisch verliebt, betritt ein Möbelgeschäft mit der Absicht, Möbel zu kaufen, um sich sein zukünftiges Heim einzurichten…beginnt der Roman etwas sperrig, um dann aber doch schnell zur Sache zu kommen, in puncto körperliche Ertüchtigung. Auf 96 Seiten Erotisches, allerdings der eher einfach gestrickten Art.
Ein solch schmieriges Machwerk soll aus der Feder von Henry Kissinger stammen? Dem konservativen Doktor Kissinger aus New York? Hier am Büdchen in Mexiko-Stadt? Wir staunen und blättern weiter. Schnell naht die Aufklärung. Auf Seite 3 wird noch einmal Titel und Autor aufgeführt. Si la cama hablara, noch immer will das Bett sprechen.
Nun aber heißt der Autor nicht wie auf dem Cover zugkräftig Henry Kissinger, sondern Henry Singer. Da hat man auf dem Umschlag ein KIS zu viel gedruckt. Also, Henry Singer und nicht Henry Kis-singer ist der Autor. Oh, das war sicherlich eine Unachtsamkeit des Verlages, eine harmlose Silbe mehr als Präfix, vielleicht hat der Lektor für ein paar Sekunden geschlafen. Honi soit qui mal y pense. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Miles ist cool. Chet ist cool. Und der Pianist Lennie Tristano ist der coolste überhaupt. Kein Wunder, bei dem Namen! Aber, liebe Leute, was ist das eigentlich, Cool Jazz?
Die Antwort darauf fällt nicht ganz leicht, eigentlich kann man sich der Antwort nur nähern. Versuchen wir es so: Während der Bebop extrovertiert, hektisch und zappelig war, so ist der Cool Jazz nun wieder mehr nach innen gekehrt und kontemplativ.
Diese Musik ist denn auch weniger bein-, sondern mehr kopfgesteuert. Sie ist europäischer, wenn man so will, konzertanter, reflektierter. Von den Ursprüngen des Jazz entfernt sich der Cool Jazz ein wenig, er ist nicht so schwarz und nicht so afroamerikanisch wie der pure Jazz. Blues-Elemente verlieren an Bedeutung. Ja, man kann sagen, der Cool Jazz zeigt sich eher als eine weiße Musik.
Beim Cool Jazz geht auch nicht die Post ab. Es dominieren eher die langsamen tempi. Jetzt kommen weit geschwungene und lang gezogene Melodiebögen. Dazu eher gehauchte und gedämpfte Töne, ganz ohne Vibrato. Der Ton der coolen Trompete beispielsweise wirkt wie eingefroren, er klingt kurz, durchdringend und harsch wie bei dem jungen Miles Davis. Trotz dieses rauen Charakters geht von dem coolen Ton zugleich auch etwas fragiles aus. Und wohl auch etwas liebliches.
Die Melodiebewegung scheint zu retardieren. Sie schleppt sich mühevoll durch den Song, irgendwie langsam, so als wolle sie eigentlich gar nicht zum Ende kommen. Die ganze Tonführung wandelt auf dem Grat von Traurigkeit und Bitterkeit auf der einen und Zartheit und Zerbrechlichkeit auf der anderen Seite.
Cool Jazz ist nicht nur ein Musikstil, es ist auch eine Lebensauffassung. Sie passt beispielsweise zum Pariser Existenzialismus der 50er Jahre. Der Cool Jazz wird zur Musik der Verlorenheit, der Melancholie. Dieser merkwürdige Ton scheint traurig, und doch strahlt er eine gewisse Zartheit aus. Der Cool Jazz mag als kühle Musik daher kommen, aber nicht ohne Hoffnung.
Die einst schönen Prachtvillen, nun im Staatseigentum, verfallen. Foto: W. Stock
Havanna, im April 1983
Das sozialistische Kuba hat sich erst 1985 dem westlichen Tourismus geöffnet. Davor war nicht viel, eher Richtung Nordkorea, Besucher aus kapitalistischen Ländern jedenfalls waren unerwünscht. Über drei Ecken gelang es mir jedoch, im Frühjahr 1983 auf die Insel zu kommen. Mit einer Gruppe Reisender aus Mexiko.
Havanna strahlt in jenen Tagen den Charme einer verlotterten Stadt aus: zerstörte Strassen, zerbröselnde Hausfassaden, ärmlich gekleidete Menschen. Ein sympathischer Charme durchaus, auch deshalb, weil der Mangel und die Not mit einer spürbaren Lebensfreude einher gehen.
Man merkt an jeder Strassenecke, hier haben Linke und Revolutionäre das Sagen. Die verfallenden Villen zeugen davon, dass ein altes System zerstört wurde, ein neues aber keinen Erfolg gebracht hat. Die Trostlosigkeit bleibt.
Der Pein des Alltags begegnen die Kubaner jedoch mit einem Lächeln, einer flotten Salsa-Melodie und einem Schluck Rum. An den Strassen statt Produkt-Reklame nun politische Reklame. Patria o Muerte. Vaterland oder Tod. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! und ähnliches aus dem reichen Spruchbeutel einer Revolution.
Wir wohnen im Capri, einem hohen, breiten Tophotel, dem man die Jahre und der vergangene Luxus so langsam ansieht. In vorrevolutionären Tagen hatte die Mafia Kubas Hauptstadt fein aufgeteilt, Havannas Nächte hörten auf das Kommando der Bosse aus Chicago und New York. Über das Capri herrschte der Spitzbube Nicholas di Constanzo. Wenn der Obergangster Al Capone in Havanna weilte, ließ er sich immer das Zimmer 615 des Hotel Sevilla in der Calle Trocadero reservieren. Und für seine Bodyguards und den weiblichen Anhang gleich das ganze restliche sechste Stockwerk.
Heute werden die wenigen Touristen aus kapitalistischen Ländern neugierig in Augenschein genommen und ziemlich aufdringlich belästigt. Haste mal ‘nen Dollar, ‘nen Kaugummi, ‘nen Kugelschreiber? Willste mal ‘ne Havanna-Zigarre, ‘ne Flasche Rum, ‘nen heißen Tipp. Und die hübschen Frauen lächeln auch hässliche Männer an.
Jenseits aller Propaganda bekomme ich Gelegenheit mich von der Qualität des kubanischen Gesundheitswesen zu überzeugen. Denn kurz vor Mitternacht plagen mich grausige Schmerzen im Ohr. Rechts. Der Nachtportier des Capri, den ich um Rat frage, schickt mich zur Nachtambulanz des nächstgelegenen Hospitals.
Da es in Havanna so gut wie keine Taxis gibt, tigere ich zu Fuß durch das nächtliche Havanna. Die Luft ist noch lauwarm und selbst nach Mitternacht spürt man die Gluthitze der Karibik. Das Calixto-García-Krankenhaus liegt gleich neben der Universität und verarztet seine Patienten in drei Schichten rund um die Uhr. Ich trage an der Rezeption mein Begehren vor und werde in ein kleines Patientenzimmer geschickt.
Ein etwas verschlafener HNO-Arzt schaut in mein Ohr und diagnostiziert eine Vereiterung. Auf einem blanken Zettel verschreibt er ein Antibiotikum. Als ich nach dem Preis der Behandlung frage und das Portemonnaie zücke, wehrt mein Ohrendoktor stolz ab. „Kostet dich nichts. In Kuba ist Krankenbehandlung umsonst.“ Duzen inbegriffen. Man dankt. Eine sehr adrette Krankenschwester winkt mir nach.
Der Management-Professor nimmt mich freundschaftlich am Arm. Nennen Sie mich Peter, meint Peter F. Drucker bei unserem ersten persönlichen Zusammentreffen 1990 ganz amerikanisch. Ich zögere. Peter, nein, das will mir nicht über die Lippen, selbst wenn mein Verstand es will.
Ich kann diesen Mann, der fast fünf Jahrzehnte älter ist als ich, nicht mit dem Vornamen anreden. Peter, das geht einfach nicht. Ich bleibe zeitlebens beim Professor Drucker. Dabei sind es nicht die Jahre, die zwischen uns liegen, das ist es nicht. Es ist einfach die Statur, die Lebensleistung und auch die Ehrfurcht.
Peter Ferdinand Drucker ist der geistige Vater des modernen Managements, der Lehrmeister eines jeden, der gestern und heute in der Wirtschaft Verantwortung trägt. Die Generation, die in den 60er und 70er Jahren an der Universität war, die hat ihn im Studium gelesen. Und auch jene, die nicht studieren konnten, haben seine Bücher verschlungen, weil er sehr klar und verständlich zu schreiben vermochte.
In seinen gut fünfzig Büchern, fast jedes Jahr hat er eines geschrieben und veröffentlicht, brachte der gebürtige Wiener und Exil-Amerikaner einer sich schnell wandelnden Wirtschaft das moderne Management nahe. Drucker hat all das aufgeschrieben, was er in den USA und in Japan beobachtete, er hat dies mit einem profundem historischen Verständnis und einer umfassenden philosophischen Kenntnis zu einer stimmigen Anleitung für die Praxis entwickelt.
Er war mehr Wirtschafts-Historiker denn Management-Guru. Er hat alle wichtigen Themen früh, manchmal als erster, angesprochen. Dezentrales Management, Qualitätsmanagement, technologische Erneuerung, Prozessmanagement, nachhaltiges und ökologisches Wirtschaften, Personalführung, Non-Profit-Management – alles Peter Drucker.
Dieser Mann war so zeitlos klug, man kann auch sagen, weise. Companies don’t make money, companies make shoes. Besser als Peter Drucker kann man es nicht auf den Punkt bringen, und in diesem Bonmot zeigt sich wie aktuell Drucker heute noch ist. Der Gewinn ist für einen guten Unternehmer nicht das Ziel, sondern eine Folge der Zielerreichung.
Für die Wirtschaft und das Management bleibt Peter Drucker der Größte. Er setzt den Maßstab. Mehr geht nicht. Peter Drucker war der geistreiche Wirtschaftsdenker meiner Generation und jener davor. Eigentlich gibt es für mich nur zwei große Denker in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der andere heißt Karl Popper. Auch ein Wiener. Auch ein Exilant.
Von allen Autoren, die ich hatte, verehre ich Peter Drucker am meisten. Noch heute kriege ich eine Gänsehaut vor lauter Hochachtung. Hochachtung vor einem Jahrhundertdenker. Ein großer Denker, der als bescheidener und sympathischer Mensch in Erinnerung bleibt.
If you are lucky enough to have lived in Paris as a young man, then wherever you go for the rest of your life, it stays with you, for Paris is a moveable feast.
Wenn du soviel Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.
Stünde ich vor der kniffligen Entscheidung, die schönste Metropole dieser Welt bestimmen zu müssen, dann würde wohl vieles auf diese Stadt zulaufen. Klima, Gastronomie, Musik, Literatur, Fussball, Lebendigkeit – Argentiniens Hauptstadt beflirtet den Besucher heftig mit ihren Reizen. Kommt man nach Buenos Aires, so merkt man der Stadt schnell an, wie glanzvoll ihre Vergangenheit war. Man wird erschlagen von prächtigen Fin de siècle-Bauten, breiten Avenuen und monumentalen Denkmälern.
Noch immer sieht man dieser Metropole den bürgerlichen Pomp und Prunk großer Jahre an. Jedoch verspürt man genauso schnell, dass ihre Gegenwart ein wenig zweifelhaft scheint und auch der nahen Zukunft mag man nicht so recht über den Weg trauen.
Fast hat man vergessen, dass Argentinien in den 40er Jahren eines der reichsten Länder dieses Erdballs war. Jedoch haben unfähige und korrupte Regierungen dieses Land der weiten Getreidefelder und der riesigen Rinderherden langsam aber sicher aus voller Blüte in ein Armenhaus der Dritten Welt herunter gewirtschaftet.
Als ich Mitte der 80er Jahre zum ersten Mal Buenos Aires besuche, ist dies eine Großstadt, in der so vollgestopfte Buchhandlungen zu finden sind wie sonst nirgendwo in Amerika. In jenen Tagen brauchen sich die Theater, die Kinopaläste und Musikhallen nicht vor denen Italiens oder Frankreichs zu verstecken. Diese Stadt bleibt dem Genuss und den schönen Künsten zugeneigt, ihre DNA scheint ein sonnenverwöhnter Mix aus savoir vivre und la dolce vita. Also fast das Paradies.
An den Sonntagen breitet der Trödelmarkt in San Telmo, dem Künstler- und Studentenviertel, seine Waren aus. An angestaubten Folianten und wieder blank polierten Grammophonen lässt sich ablesen, dass diese Nation einst von Einwanderern gegründet worden ist. Mitten auf dem Platz stehen die Alten, die hier nicht Schach oder Domino spielen, sondern den Tango singen.
Meist in ein angenehm temperiertes Wetter gehüllt, kommt diese Stadt an guten Tagen daher wie eine tropische Mischung aus Florenz und Paris. Buenos Aires erscheint mir als Weltstadt, die in ihrem Zentrum aussieht wie die schönste aller europäischen Metropolen, deren blankes Elend jedoch nur drei Straßenzüge weiter beginnt und sich endlos in die Peripherie hineinbeißt.
Wenn man in diesen besseren Jahren abends ein Restaurant besucht und sein Asado, die über dem offenen Feuer gegrillte Rinderlende, bestellt, so bekommt man auf einem großen Teller das Fleisch, das zudem noch über den Tellerrand schlägt und erst auf einem zweiten, etwas kleinerem Teller werden die Beilagen, meist Kartoffeln und Gemüse, gereicht.
Wie eine Oase der Lebenslust kommt einem diese Stadt entgegen. In den Cafés, die in den Nebengassen der Calle Lavalle zu finden sind, trinken die Argentinier, jung und alt, reich oder verarmt, gemächlich ihren café cortado und vielleicht auch den einen oder anderen roten Pinot Negro gegen die schlechten Politiker.
Mi Buenos Aires querido, heißt das Lied dieser Stadt, quando te vuelvo a ver. Mein geliebtes Buenos Aires, wann werde ich dich wiedersehen. Und der Tango fragt, aber eigentlich scheint jene Frage mehr ein Bitten und Betteln. Ein Wunsch jedenfalls, der in der Erkenntnis mündet, diese Stadt möge einen niemals loslassen. Nicht in den guten und auch nicht in den düsteren Tagen.
Durch Zufall, Glück oder Absicht bin ich einigen deutschen Bundeskanzlern begegnet.
Da war Willy Brandt, mit dem ich lange in seinem letzten Wohnort in Unkel am Rhein bei einem Rotwein an einem Tisch im Café am Markt saß. Oder Gerhard Schröder, den ich als junger Journalist interviewen durfte und dem ich später bei einer Fernsehsendung in Frankfurt erneut über den Weg lief. Und da war Helmut Kohl, der einmal auf der Frankfurter Buchmesse plötzlich am ECON-Stand auftauschte.
Es war schon vorher etwas Unruhe zu spüren, als ein paar kräftige Männer mit Walkie Talkie und leicht ausgebeulten Achsehöhlen zwischen unseren Buchregalen auftauchten. Was denn los sei, traute sich einer zu fragen. Der Kanzler kommt, war die knappe Antwort.
Verleger Hero Kind begrüßte ihn freundlich. Und Gertrud Höhler, ihren frischen Bestseller Spielregeln für Sieger in der Hand, versuchte ein Gespräch mit dem Kanzler. Aber alle Umstehenden merkten schnell: Helmut Kohl ist kein Meister des Small Talks, er ist wohl auch kein besonders guter Zuhörer. Mir fiel vor allem sein Mangel an Humor auf, denn bei so einer kurzen Begegnung platziert man eine knappe ironische Bemerkung, ein lustiges Bonmot, aber selbst den Humor ging der Kanzler Kohl mit wackerer Ernsthaftigkeit an.
Man sollte sich hüten, nach wenigen Minuten auf einen Charakter zu schließen, aber oft ist der erste Eindruck ja auch der Richtige. Der Pfälzer tut sich schwer mit dem Räsonieren, mit der Literatur, mit modernen Themen. Vielleicht fehlt das Interesse, die Offenheit wahrscheinlich, mag sein, der Mann hat Wichtigeres zu tun.
Überhaupt schien mir dies Mensch mit, nun ja, fokussierter Sicht. Was ihn nicht interessierte, mit dem befasste er sich nicht gerne. Aber vielleicht war es auch so, dass der Gesprächspartner bei ihm nicht das richtige Thema oder den richtigen Ton traf.
Insgesamt war er mir nicht unsympathisch. Seiner Politik haftete nichts Spektakuläres an, mit 90 Prozent stimmte ich überein, und die deutsche Einheit hat er mit Bravour gemanaged, dort, wo alleine im Denken andere grandios gescheitert sind.
Ich bin in seinem Land geboren, bin dort zur Schule gegangen und habe Abitur gemacht, als er der Ministerpräsident war. Ich weiß, wie dieses Land, es heißt Rheinland-Pfalz, tickt. Es ist ein Landstrich ohne Metropole, ohne Tor zur Welt, und auch ohne ausgeprägte intellektuelle Neugier und Weltoffenheit. Statt dessen zeigt sich dieses Bundesland ehrlich, rechtschaffen und anständig, aber im Kern doch erschreckend bieder und hausbacken.
Kohl haftete der Ruf eines Provinzlers an, und wahrscheinlich stimmte das, im Guten wie im Schlechten. Er besaß nicht die Gewitzheit eines Konrad Adenauer, nicht die Weltläufigkeit eines Hemut Schmidt, nicht das Visionäre eines Willy Brandts. Helmut Kohl war der Landrat, der sich plötzlich auf dem Stuhl des Bundeskanzlers wiederfand. Und jemand, das muss eingeräumt werden, der mit den Aufgaben wuchs.
Am ECON-Stand, da war er kurz, blätterte in ein paar Büchern, und zog nach fünf Minuten weiter.
Mick Jagger spielt den Wilbur in Werner Herzogs Film Fitzcarraldo. Iquitos, im Januar 1981; Foto by W. Stock
Iquitos/Peru, im Januar 1981
Wenn einer der ganz großen Musiker unserer Tage in die kleine Stadt kommt, dann steht diese kleine Stadt tagelang Kopf. Reporter aus aller Welt treten sich auf die Füsse, die Fernsehkameras schnurren und junge Burschen wachen eifersüchtig über ihre Bräute. Wuselige Presseagenten schirmen die Berühmtheit ab und ein paar Bodyguards tun ein Übriges. Solch einen Rummel kann man bei einem Weltstar doch erwarten.
Nicht jedoch hier, im abgelegenen Dschungel Perus, über tausend Kilometer entfernt von der hektischen Metropole Lima und fünfzehn Flugstunden von Europa. In einer Stadt, die von der Außenwelt abgeschnitten ist, zu der keine Straße hineinführt und keine hinausgeht. Nur über den Oberlauf des Amazonas oder mit dem Flugzeug vermag man in diese Sonnen-Oase Perus gelangen. Merken Sie sich den Namen dieses Juwels: Iquitos!
Da kommt der Chef der berühmtesten Rock-Band der Welt in den Urwald – und nur ganz wenige nehmen Notiz davon. Man mag es kaum glauben, aber es ist so geschehen. Bis auf ein paar eurozentrische Eierköpfe weiß hier in den Tropen rund um den Amazonas so gut wie niemand, wer denn dieser junge schlaksige Mann mit dem rotblauweiß karierten Hemd und dem schon leicht zerknitterten Gesicht nun genau ist.
Ein Künstler aus London, wird geflüstert. Schauspieler vielleicht oder auch ein Sänger, all das wird in Iquitos geraunt. Seine Frau, ein blasses bildschönes Model, ist im Hotel geblieben, am Pool im Holiday Inn, in der Nähe vom Flughafen. Rolling Stones? Musik. Schön und gut. Aber kann man damit Geld verdienen?
In Peru Mick is nothing, brummelt er halb belustigt und setzt seinen einfachen Strohhut auf. Mick Jagger genießt es, hier und heute ein Unbekannter zu sein. Bei den Dreharbeiten zu Werner Herzogs Filmepos Fitzcarraldo dreht sich alles um Claudia Cardinale, die Hauptdarstellerin aus Italien, deren apartes Antlitz man aus den Klatschseiten der Zeitungen kennt. Aber Mick, Mick is nothing in Peru.
In seiner freien Zeit filmt er mit seiner Nikon die Filmarbeiten. Mick Jagger ist für die Rolle des Wilbur besetzt, das ist der etwas durchgedrehte Kumpan von Fitzcarraldo. Und diese ganze Filmerei macht ihm sichtlich Spaß. Wenn Mick in seiner weißen Leinenkleidung neben Jason Robards, der den Fitzcarraldo gibt, agiert, dann merkt man schnell, hier ist jemand mit Elan, mit Leidenschaft und auch mit Talent bei der Sache.
Und Mick Jagger füllt seine Filmrolle in einer sympathisch skurrilen Interpretation wunderbar aus. Der in Ehren ergraute Schauspieler-Kollege Robards, ein großer amerikanischer Theatermann, lobt seinen Kompagnon denn auch in hohen Tönen. Nach einer Dialogszene, die Kameras sind abgeschaltet, klatscht Robards kräftig Beifall in Richtung Jagger, und beide brechen in fröhliches Lachen aus.
Es stehen Dreharbeiten im Urwald an. Regisseur Werner Herzog hat im Wipfel eines riesigen Amazonasbaumes, in fast 30 Metern Höhe, eine Plattform aus Spanplatten bauen lassen. Auf dieser Plattform, die bei Wind hin und her weht, soll gefilmt werden. Dort oben sollen Jason Robards, immerhin ein Mann von knapp 60, und Wilbur ihren Blick über den weiten, üppigen Amazonasteppich streifen lassen. Und zum guten Ende soll in luftiger Höhe auch eine kleine Rauferei zwischen Robards und Jagger stattfinden, wobei der Kopf des einen über die Brüstung mit Blick in die Tiefe gedrückt werden soll.
Burschikos legt Regisseur Werner Herzog seinen Arm um Mick Jaggers Schulter. Morgen früh gehen wir rauf, sagt Herzog zu Jagger. Und Mick schaut nach oben.
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