Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Hemingway trinkt sechs oder acht Daiquirís in El Floridita

Photo by W. Stock

Havanna, im April 1983

Ecke Obispo-Straße mit Monserrate im kolonialen Havanna findet sich eine prima Adresse für hohe Prozente. El Floridita. Nicht nur unter Säufern genießt Klein-Florida einen exzellenten Ruf. Ebenso unter Literaten. Haben die schwarzen Barhocker doch mehr nobelpreisgekrönte Arschbacken erspürt als jeder Fauteuil der Bibliotheque Nacionale de Paris.

Den Daiquirí schlürfte im El Floridita die Verlorene Generation, jene desillusionierten Mannsbilder, die im Ersten Weltkrieg all ihre Ideale verloren hatten und nicht so recht wussten, wie es nun weitergehen sollte. Und da hocken sie um die mahagonigetäfelte Bar mit ihrem dezent dunklen Interieur: der Sprachzauberer John Dos Passos ebenso wie der Weichzeichner Scott Fitzgerald. Der Dichtertitan Ezra Pound, später der schrullige Weltenbummler Graham Greene. Und natürlich auch der unverwüstliche Ernest Hemingway, der sich an diesem Orte bereitwillig dem Suff hingab.

Auch wir tauchen ein, in bester Absicht, und nähern uns schweren Schrittes dem Tresen. Die lange Mahagonitheke schimmert matt. Auf den schwarzen Holztruhen der Schankanrichte ist in stolzem Goldton Wiege des Daiquirí auf Spanisch und Englisch angebracht. Genosse Barkeeper, wo ist der Maestro?, fragen wir. Quien?? Wer?? El Maestro. Ma-es-tro. Der Meister aller Klassen. Schulterzucken. Na dann, dos Daiquirís, Compañero.

Hemingways zweites Stammlokal in Havanna kultiviert verblichene englische Eleganz, Regency-Stil, von der Revolution ein wenig überrollt. Er hatte doppelte Daiquirís getrunken, von den großen, die Constante in überfrorenen Gläsern servierte, so dass sie nicht nach Alkohol schmeckten, und wenn man sie runterkippte, schmeckten sie, als fahre man auf Skiern einen verschneiten Gletscher hinunter, und der sechste oder achte schmeckte, als fahre man einen Gletscher hinunter und wäre nicht angeschnallt.

Verzückt an unserem 2-Pesos-Daiquiri nippend, lassen wir die Blicke schweifen. Zur Theke hin deckt der Braunstich La Habana Antigua die halbe Frontseite ab. In einer Nische am linken Ende der Bar eine kleine Büste aus Holz auf, die anscheinend den illustren Gast darstellen soll. Der Holzkopf, das Antlitz verklärt gen Himmel gewandt, sieht aus wie eine vergessene Figur vom Flohmarkt. Wir trinken einen zweiten Daiquirí.

Es este el Maestro?, frage ich den Barkeeper und deute auf die Holzbüste. Ah, Don Ernesto. Da hinten hänge noch ein Foto. An der Wand zur Straßeseite prangt ein charismatisches Bildportrait Hemingways, so wie wir ihn mögen. Mit ergrautem Bart, der spitzbübischen Unruhe in den Augen und dem kessen Abenteurerlächeln.

In jenen Jahren galt das El Floridita als Treffpunkt von Glücksrittern jeder Couleur. Hier trafen sich abgehalfterte Journalisten, elegante Zuhälter und korrupte Diplomaten zur rumseligen Aufschneiderei. Hier fand Hemingway die Figuren seiner Storys, zwielichtige Typen allesamt, und hierher ließ er sie als Romanfiguren mitunter zurückkehren.

Aber Hemingways bester Freund in El Floridita blieb der Rum. Der Schriftsteller war Trinker aus Überzeugung. Ich trinke seit ich 15 bin, und wenige Dinge machen mir mehr Freude. Wenn man den ganzen Tag schwer arbeitet mit dem Kopf und wenn man am nächsten wieder arbeitet, was kann besser deine Gedanken in Schwung setzen als ein Glas Whisky?

Unser Barkeeper heißt Antonio. Wo denn die alte Garde aus Inseln im Strom sei? Serafin, Pedrico und Constante? Antonio zieht die Mundwinkel Richtung Kinn und streckt den Zeigefinger zum Boden. Unter der Erde der eine. Vor der Revolution getürmt der andere. Und Constante, Constantino Ribailagua y Vert, Kubas größter Erfinder, der des Daiquirís, hatte schon zu Hemingways Lebzeiten 1952 alles Irdische hinter sich gelassen.

Sein geflügeltes Bekenntnis zu diesem Lokal kennt jeder. My daiquiri in El Floridita. Doch Hemingway achtete im Floridita darauf, nicht all zu viele Pfunde anzusetzen. Hemingway special, rufe ich. Antonio schiebt zwei Daiquirís rüber. Ohne Zucker.

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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  1. apple

    Und wenn es Aschermittwoch ist – in Bayern, sieht man da nicht auch Politiker jeglicher Couleur mit einer Maß Bier (Starkbier) in der Hand glückselig in die Kameras der Fernsehsender grinsen? Dann wäre Bayern doch, analog, das Land der saufenden Politiker!

    Vielleicht aber saufen Politiker nicht nur in Bayern. Vielleicht soffen sie, damals in Bonn, in der „Provinz“ oder heute in Berlin am liebsten in der „Ständigen Vertretung“, den schönen Zeiten im Rheinland nachtrauernd oder um den Frust zu verjagen, der sich in ihnen während der Sitzungswochen des Parlaments angestaut hat.

    Gesoffen wird überall, oft von manchen, von denen man es niemals annehmen würde.

    Weshalb sollte das Havanna eine Ausnahme machen?

  2. Stephan

    Sie stellen das revolutzionäre Cuba als Saufinsel dar. Das ist nicht nur falsch, sondern auch schäbig.

  3. Klaas K

    Heute leider eine touristenfalle

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