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Reisen & Begegnungen

Deutschlands schönste Strandbude

Photo by W. Stock

Sylt, im September 2010

Gleich hinter Rantum sollte man rechts Richtung Strand abbiegen, sein Auto auf dem großen Parkplatz stehen lassen und dann noch die wenigen Meter über die Düne wandern. Dann gelangt man zur schönsten Strandbude Deutschlands. Die schwarze Piratenflagge weht unter azurblauen Himmel.

Strandbude, Restaurant, Bar, Bistro. Alles richtig, aber zur gleichen Zeit auch irgendwie falsch. Denn die Sansibar ist keine Hütte aus Holz und Glas, die Sansibar scheint mir eher eine Philosophie des Lebens.

Herbert Seckler hat das Blockhaus mit den gekreuzten Schwertern in über 30 Jahren zu einem In-Treff der Reichen und Schönen, und allen die es sein wollen, gemacht. In Heerscharen pilgern die Sylt-Urlauber zur Sansibar. Abends geht ohne Reservierung gar nichts, an Spitzentagen muss die Crew über 3.000 Gerichte servieren.

Vielleicht liegt auch in der Abgeschiedenheit ein Erfolgsgeheimnis dieser Strandbude. Kein anderes Haus und auch kein Hotel in der Nähe, nur einen Katzensprung zum Meer, der steife Wind pfeift einem um die Ohren und das jodhaltige Reizklima macht einen eh schon halb meschugge.

Da kann ein guter Wein nicht schaden. Auf seine Weine und seinen Wein-Circle ist Herbert Seckler besonders besonders stolz. So bekommt der Sansibar-Addictus jeden Monat eine erlesene Flasche in sein tristes Haus geschickt. Und so kommt die Weinkarte der Sansibar dick wie ein Taschenbuch auf den Tisch des Gastes.

Besonders bleibt das kulinarische Angebot zu loben. Das Tagesgericht, üppig und mit ungewohnten Zutaten raffiniert, zeigt die hohe Klasse der Sansibar. Gerühmt wird auch die Curry Wurst des Hauses, für schlappe 11 Euro sicherlich ein Gourmet-Würstchen.

Die junge Bedienung zeigt sich freundlich und serviceorientiert, ein jeder wird geduzt, der Ton zwischen Kellner und Gästen ist offen und angenehm, was in diesen Breiten nicht selbstverständlich ist, in der Sansibar wird eine unprätentiöse Gastfreundschaft auf hohem Niveau gepflegt.

Ein Gang auf die Toilette, übrigens, bleibt empfohlen. Denn dort hängt Kunst, und zwar ziemlich erotische, vom Allerfeinsten. An den originalen Zeichnungen, die überall in der Sansibar hängen, bleibt zu erkennen, dass die Piratenbude auch bei der Kunst ihre Anhänger findet.

Herbert Seckler, ein guter Gastronom auch mit Händchen für’s Marketing, hat die Sansibar zu einem Markenprodukt entwickelt. Die Line-Extensions lassen einen Staunen: Mittlerweile gibt es Sansibar-Strandkörbe, Sansibar-Schuhe, Sansibar-Taschen, Sansibar-Uhren, Sansibar-Grappa, Caps und T-Shirts sowieso. Und so zeugt der Erfolg wiederum neuen Erfolg.

Einen solchen Ort wie in den Rantumer Dünen braucht es, um gestresste Manager, aufmüpfige Pantoffelhelden und blassierte Großstädter zu entkrampfen. Denn die Sansibar ist Ort zum Nachdenken, zum Träumen und zum Sich-Finden. Die Welt wäre ärmer ohne solche Orte, und der Mensch wäre es wohl auch.

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Travelmate

Photo by C. Stock

Never go on trips with anyone you do not love.

Geh‘ nie mit einer Person auf Reise, die du nicht liebst.

Ernest Hemingway

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Mick Jagger im Dschungel – und noch einer

mit Mick Jagger im Amazonas; Iquitos, im Januar 1981; Foto by René Pinedo/Archiv Dr. Stock

Er setzt seinen einfachen Strohhut auf, schlendert durch die Menge und durchstreift die schwüle Welt des Amazonas. Er fällt nicht weiter auf, hier in der Amazonasstadt Iquitos. Mit seinem karierten Hemd, der grauen Hose. Eigentlich bewegt er sich wie du und ich. Er ist zu Dreharbeiten hier nach Peru gekommen, zu dem Film Fitzcarraldo, in dem er eine Nebenrolle spielt.

So war es bei Mick Jagger immer, die Musik ist seine grosse Passion, der Film seine kleine. Und Fitzcarraldo im Dschungel, auch das ist so ganz nach seinem Geschmack. Nun ja, 1981 hat gerade sonnig begonnen, und in diesen Jahren wird noch nicht soviel Aufhebens gemacht um Stars und Superstars wie heutzutage. Keine Leibwächter, keine Absperrung, keine Akkreditierung.

Der Musiker kann sich frei bewegen wie es ihm beliebt, er wird nicht angesprochen, nicht behelligt, keiner geht ihm auf die Nerven. Die Stadt ist eh voll von Filmprominenz. Jason Robards aus Hollywood, Claudia Cardinale aus Italien, Mario Adorf aus Deutschland. Und Werner Herzog, der Regisseur. Abends kann man sie in der Pizzeria am Malecón treffen.

Mick wohnt im Holiday Inn, dem feinsten Haus am Platze, etwas außerhalb der Stadt. Das Holiday Inn verfügt über einen hübschen Swimmingpool, was bei Temperaturen um die 40 Grad ein Genuß ist. Dort sieht man dann den Boss der besten Band der Welt sich auf der Pool-Liege sonnen, die Freundin Jerry Hall daneben. Und zwischendrin huscht er auf’s Zimmer und werkelt an neuen Songs der neuen Platte. The Rolling Stones Tattoo You soll sie heißen.

Da keiner Mick kennt, kann man auf ihn zugehen, ihn ganz einfach begleiten. Mick Jagger ist hier in den fernen Tropen so ganz anders als auf der Bühne, wo er als Vulkan an Extrovertiertheit auftritt. Hier zeigt er sich von einer ruhigen, unauffälligen Seite, ja, bisweilen mag man ihn schüchtern nennen. Ein Rolling Stone in Perus grüner Hölle, die in Wahrheit ein Paradies ist. Man reibt sich die Augen.

Schön auch, dass ich mehr oder weniger der einzige Journalist vor Ort bin. Da ist nur noch Tomás d’Ornellas von der Tageszeitung Expreso aus Lima. Und auch der Fotograf René Pinedo, der Jahre später unter tragischen Umständen ums Leben kommen sollte, als er auf der Landstrasse von einem LKW erfasst werden sollte und er tagelang im Leichenhaus lag und niemand um seine Identität wusste. Ich bitte René Pinedo, einige Fotos von Mick und mir zu schießen, die ich dann Tage später bei ihm in der Redaktion in Lima abhole.

Mick Jagger im Dschungel und dieser Schreiber auch. Das glaubt zu Hause doch keiner, Seemannsgarn aus dem Urwald, eine nette Flunkerei. Nein, nein, es ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Für den jungen Journalisten ist die Begegnung in den Tropen ein Scoop, seine Berichte über Jagger in the Jungle werden in mehr als einem Dutzend Länder veröffentlicht.

Heute ist Sonntag und wir stehen am prächtigen Malecón, der steil abgehenden Uferböschung zum Amazonas, und schauen den Dreharbeiten zu. Mick fotografiert alles mit seiner schwarzen 8mm-Kamera. Und René Pinedo fotografiert Mick und – Mich.

siehe auch: Mick Jagger als Schauspieler in dem Film ‚Fitzcarraldo‘

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Frank Sinatra fliegt zum Mond

Bart Howard hatte Fly me to the Moon 1954 komponiert und getextet. Zahlreiche Interpreten haben den Song aufgenommen. Johnny Mathis, Ella Fitzgerald, Mel Tormé, Sarah Vaughan, Tony Bennett. Alles nett bis obernett. Jedoch kommen sie alle an die Version Frank Sinatras nicht heran, weil er wie kein anderer dieses perfekte, swingende Taktgefühl besitzt.

Ein Erfolgsgeheimnis Sinatras war, dass er sich immer mit den allerbesten seines Faches umgeben hat, musikalisch zumindest. Mit den besten Solisten, den besten Arrangeuren, den besten Orchestern. Da er schon früh Erfolg errang, besaß er auch das nötige Kleingeld immer Spitzenleute zu verpflichten. Und sobald Sinatra die Basie Big Band im Nacken spürte, dann lief er zur Hochform auf. Frankieboy vermochte bei Count Basie seine retardierende Phrasierungen einzubauen, die einen ungewöhnlichen Kontrast zur explosiven Dynamik der Basie-Musiker bildeten.

Sinatra hatte den Song erstmals 1964 für das Album It Might as Well Be Swing aufgenommen. Zwei Jahre später singt er das Lied meisterhaft bei seinem Live-Auftritt im Sands von Las Vegas. Oder er tritt, wie im Youtube-Video zu sehen, auch mal vor ziemlich schweren Jungs auf.

Bei Sinatras Fly me to the Moon schrieb das Arrangement, das darf nicht vergessen werden, der geniale Quincy Jones. Der rhythmische Spannungsbogen, eine lockere Melodie, die knallenden Blechbläser, Quincy Jones hat alles perfekt zusammengeführt.

Fly me to the moon
Let me play among the stars
Let me see what spring is like
On Jupiter and Mars

Am 20. Juli 1969 wird der Song endgültig unsterblich. Neil Armstrong und Edwin Buzz Aldrin stehen als erste Menschen auf der Mondoberfläche, Michael Collins bleibt an Bord der Apollo 11. Buzz Aldrin spielt auf einem Kassettenrekorder die Sinatra/Basie-Version von Fly me to the Moon.

Es ist das erste Lied, das je im Orbit zu hören ist. Ein Traum der Menschheit ist Wirklichkeit geworden. Der Mann im Mond ist angekommen. Fly me to the Moon. Und Frank Sinatra schickt seine besten Grüsse aus dem Weltall auf die Erde.

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Puerto Marqués – Acapulcos kleine Schwester

Photo by C. Stock

Puerto Marqués, im April 1992

La Bahia de Puerto Marqués, zwanzig Minuten südlich von Acapulco gelegen, ist nicht so hektisch und auch nicht so laut wie Acapulco. Hier zeigt sich der Strand auch nicht mit Hotels oder Hochhäusern zubetoniert, vielmehr genießt der Besucher, umgeben von einfachen Holzhütten, die freie Sicht auf die blaue Bucht.

Die Wirte der kleinen Restaurants bieten auf offenem Grill frische mariscos an, Meeresgetier, und ein kühles Corona-Bier. Besonders das Ceviche mundet, ein marinierter Fischsalat, der mit Limonensaft abgeschmeckt wird.

In Puerto Marqués, nicht durch hohe Palmen oder Bauten geschützt, brennt die Sonne stärker und intensiver als in der Stadt. Das Thermometer steigt schnell auf 40 Grad im Schatten, aber viel Schatten findet sich hier nicht.

Die Hitze des Tages droht einen förmlich umzuwerfen. Man schlafft ab, der Schweiß tritt aus und es scheint so, als ob das alte Leben wie in einem Saunarium den Körper hinunter gerinnt.

Diese Schwüle löst darüber hinaus einen erotisierenden Reflex aus mit einer spürbaren Allgewalt auf alle Körperlichkeit. Man wird schnell übermütig und draufgängerisch unter Mexikos Sonne.

Hier erwacht auch das Verlangen, den eigenen Körper zu spüren. Plötzlich zeigen Amerikaner, Europäer und andere Bleichgesichter jene elementare Lust, in Shorts zu schlüpfen, sich ein einfaches T-Shirt überzuziehen und den feinkörnigen, weißen Sand des Strandes an den nackten Füßen zu spüren. Es sind jene, die man in früheren Tagen beachcomber nannte, Menschen, die froh sind endlich ohne Schlips und Kragen ins richtige Leben springen zu dürfen.

Schlagartig erblickt so mancher im Geist Getrübter, der eigentlich nur der Kälte und der Beengtheit seiner Heimat weglaufen wollte, hier in Puerto Marqués diesen unglaublich blauen und erhabenen Himmel. Spätestens jetzt siegt die Bereitschaft, sich dem Leichtsinn dieses Fleckchens am Pazifik hinzugeben.

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Günter Wallraff, der Schmutzwühler

Günter Wallraff, Wolfgang Stock; Bergisches Land, den 5. Juni 1979

Unter konspirativen Umständen, man kann es nicht anders sagen, kam ich zu Günter Wallraff. Denn Wallraff musste für ein paar Wochen von der Bildfläche verschwinden.

Ich traf Günter Wallraff im Sommer 1979. Er hatte über drei Monate unerkannt in der BILD-Lokalredaktion in Hannover gearbeitet und enthüllt, mit welchen Methoden Deutschlands führende Zeitung zu arbeiten pflegt. Sein Buch Der Aufmacher – Der Mann, der bei ‘Bild’ Hans Esser war erklomm rasch die Bestsellerlisten und wurde heftig diskutiert.

Neben reichlich Lob und Bewunderung über diesen Scoop hagelte es Widerspruch, Klagen, Drohungen und Wallraff zog sich für einige Tage in das Haus eines Freundes zurück, weit ab der Großstadt und der medialen Aufmerksamkeit.

Seine Assistentin lotste uns per Telefon wie in einem Krininalfilm zu seinem geheimen Refugium. “Fahren Sie nach Bergisch-Gladbach, dann Richtung Kleinkleckersdorf, auf halbem Weg sehen Sie eine hohe Eiche, biegen Sie dort in den Waldweg…” Und so weiter, und so fort. Man kam sich vor, wie in einem Thriller von John le Carré. Wir waren, zumindest für einen Tag, Teil des System Günter Wallraff geworden.

In dem Sommerhaus im Bergischen empfing uns Wallraff freundlich, neugierig und doch stets auf der Hut. Er war eigentlich immer auf der Lauer, und manchmal wusste man nicht so recht, ob man nun Günter Wallraff oder doch Hans Esser vor sich hatte.

Ich mag Wallraffs subjektive Annäherung an das Schreiben. Das hat eine lange Tradition, denn schon Upton Sinclair hatte 1905 mit The Jungle einen inkognito recherchierten Roman veröffentlicht, der die Zustände in den Schlachthäusern von Chicago anprangerte. Muckraker, nennen die Amerikaner diese Form des Journalismus verächtlich, Schmutzwühler, Nestbeschmutzer. Bisweilen hört es sich wie eine Auszeichnung an.

Und Muckraker Wallraff enthüllte Mißstände wie kein anderer: Er war der Türke Ali bei Thyssen und – mein Liebling – er deckte Putschpläne und Waffenschiebereien des sinistren früheren portugiesischen Staatspräsidenten General António de Spinola auf. Manchmal vernahm man eine übermütige Spöttelei in seiner Recherche. Beispielsweise, wenn er sich bei Gerling auf den Chefschreibtisch breit machte.

In der schwedischen Sprache hat sich der Begriff wallraffa eingebürgert, das Verb bezeichnet einen verdeckten Recherchestil. Wallraff hat den Journalismus um eine Dimension bereichert. Überraschend angreifen, unerkannt beobachten, ganz nah rangehen. Das ist zwangsläufig höchst subjektiv und nicht mehr objektiv. So what? Das ist jedenfalls aufregender und spannender als das meiste Zeug, das die Sesselpupser so schreiben.

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Wer wählt wen?

Hemingway-Denkmal in Cojímar/Kuba; Photo by W. Stock

I never had to choose a subject – my subject rather chose me.

Ich habe nie ein Buchthema ausgesuchen müssen, mein Thema hat eher mich ausgesucht.

Ernest Hemingway

Bitte besuchen Sie zum Thema Ernest Hemingway mein neues Blog Hemingways Welt.

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Der Jazz ist tot!

Eubie Blake, 1978; Photo by W. Stock

Wenn man sich die Programme der sommerlichen Jazz Festivals von Montreux über Nizza bis Los Angeles anschaut, dann kommen einem schnell die Tränen. Und auch wenn man in die Programmhefte der in Ehren ergrauten Jazzclubs blickt, dann überfällt den Jazzfan das Grausen.

Die Clubs leeren sich, das Programm dünnt sich aus. Und dann machen irgendwann die Klubs ihre Türen dicht. Dann ist kein Jazz mehr, weil die Jazzer fehlen. Dem Jazz – Musikanten wie Publikum – fehlt ganz einfach der Nachwuchs. Ist der Jazz ein Generationen-Projekt, das in diesen Jahren zu enden droht?

Was in unserer Zeit unter dem Label Jazz läuft, entpuppt sich meist als Etikettenschwindel. Da hört man vielleicht ein bisschen Fusion, Rockjazz oder Weltmusik. Und wenn es dann doch richtiger Jazz ist, dann spielt die Epigone der Jazz-Epigone. Aber das sind noch die guten Fälle.

Oft hören wir bloss musikalische Hochstapelei oder Heiratsschwindel, der sich dann ganz frech Jazz nennt. Man erkennt die Roßtäuscher ganz schnell, denn die neue Musik zeichnet eine stilistische Beliebigkeit aus, es fehlt dieser neuen Musik an Substanz, an Vorbildern und an Tradition, aus der sie schöpfen könnte. Und, möchte man anfügen, es fehlt ganz einfach an Wettbewerb. An Wettbewerb, an dem sich die neue Musik messen lassen kann.

Kein Wunder, wenn das Publikum nicht nachwächst, sondern nur älter wird. Wenn Jazzmusiker nicht nachrücken, sondern aussterben. Und vielleicht ist diese prächtige Musik ja auch nur eine Musik, die nicht älter als 80 Jahre werden durfte.

Das sind die Tatsachen, so sehen die Fakten aus. Und leider müssen wir uns dieser Wirklichkeit stellen, so schmerzlich sie auch sein mag. Es ist traurig. Chet Baker ist tot. Charlie Parker ist tot. Miles Davis ist tot. Stan Getz ist tot. Und dann, liebe Leute, ist ja wohl auch der Jazz tot!

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Der Herr der Enten

Wiesbaden, im September 1988

Die Ente vom Lehel ist im Wiesbadener Nobelhotel Nassauer Hof untergebracht. Hans-Peter Wodarz hat das Edelrestaurant 1979 gegründet, in der Tradition seines Münchener Restaurants, das Die Ente im Lehel hieß.

Wodarz, Jahrgang 1948 und in Wiesbaden geboren, lernte das Handwerk eines Kochs bei Eckart Witzigmann im Tantris, machte sich dann als Gastronom selbstständig, und setzte mit seinen beiden Enten den neuen kulinarischen Maßstab in Deutschland.

In Wiesbaden werden wir von Hans-Peter Wodarz persönlich bekocht. Anlass ist das Erscheinen der ECON Gourmet Bibliothek, die Wodarz als Herausgeber betreut. Diese vielbändige Taschenbuch-Reihe ist ein großer publizistischer Wurf. Thematisch decken die in vornehm-schwarzen Einband gehaltenen Bücher die Highlights der modernen Küche ab – von erlesenen Olivenöle über Lammfleisch-Gerichte bis hin zu einem Kanon der Mineralwasser

Mein Kollege Harry Olechnowitz betreut diese Buchreihe, die den Trend zu feinem Essen und zum Slow Food in Deutschland aufgreift. Das Buchprojekt stellt sich als ein riesiger Erfolg heraus, in den Medien, im Buchhandel und auch beim Leser.

An diesem Abend überrascht uns Hans-Peter Wodarz mit einem Sechs-Gänge-Menü. Und mit Weinen von ersten Winzern, meist Rheingau oder Mosel. Die Wiesbadener Ente deckt ein auf zwei Etagen, wenn man die Galerie mitzählt, die man über eine geschwungene Treppe erreicht. Prominenz an den Tischen. Ich sitze mit den TV-Köchen Neuner-Duttenhofer zusammen, mit der legendären amerikanischen Buchagentin Katherina Czarnecki, am Nachbartisch Dieter Kürten, Klaus Bresser,  rund 80 Personen sind gekommen.

Der Herr der Enten gibt sich persönlich die Ehre, gibt Einblick in seine Philosophie, erläutert unter verzückten Ahs und Ohs der Gäste Komposition und Zutaten. Hans-Peter Wodarz scheint vom Naturell her ein zurückhaltender, zurückgenommener Mensch, der nicht unbedingt im Rampenlicht stehen muss. Seine Créationen sprechen für sich und für ihn. Der Sternekoch Wodarz versteht sich auf Inszenierung – auf dem Teller.

Seine Darbietungen heißen dann auch Dialog der Früchte. Lammgerichte, im Blätterteig, sind eine seiner Spezialitäten. Gerne kombiniert er Fisch und Fleisch. Abgerundet, mit einem kulinarischen Augenzwinkern, oft mit Ente oder Gänseleber.

Man darf als Résumé des Abends sagen, das Menü ist perfekt. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Klug in Vielfalt und Raffinesse. Die Optik schwelgt und der Gaumen wird nachhaltig gekitzelt. Und dies alles mit einer Nonchalance, der jede Affektiertheit und jedes Schinden nach Eindruck fremd ist. Kein Zweifel, hier in Wiesbaden kocht ein Mozart der Küche.

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Auf dem Amazonas

Photo by N. Böer

Rio Amazonas, im Dezember 1985

Dies ist heute ein ganz besonderer Tag. Seit Stunden fahren wir auf dem Fluss ohne einer Menschenssele zu begegnen. Auf dem Amazonas, diesem kilometerbreiten und endlos langen Fluss, der aus den Anden bis hin in den Atlantik fließt.

Der Fotograf Norbert Böer, der einheimische Schiffsführer Asunción und ich, wir befinden uns wie verloren mitten in der unendlichen Weite dieses Flusses. Der Strom der Phantasie, wie der Franzose Jules Verne in einem Roman schrieb.

Die nächste Stadt liegt flussaufwärts eine Tagesreise entfernt, flussabwärts braucht man drei Tage. Durch die vielen Seitenarme und Sandbänke droht, besonders in den frühen Abendstunden, die Orientierung verloren zu gehen.

In den Tropen bricht die Abenddämmerung blitzartig herein, so als würde man von jetzt auf gleich einen Lichtschalter umkippen. In der Nacht fallen die Temperaturen auf angenehme 24 Grad. Aber am Tage wird die Hitze unerträglich. Das breite Wasser des Flusses spiegelt die Strahlen, die sich dann mit doppelter Kraft in die Haut bohren.

Auch wenn sich auf diesem Fluss jedes Zeitmaß zu verlieren scheint, zeigt der Kalender den 24. Dezember. Piotr und Joe paddeln wie jeden Tag auf dem langen, breiten Fluss. Genau 7.025 endlose Kilometer. Vom hohen peruanischen Andengletscher über einen riesigen tropischen Urwaldteppich bis hin zur breiten Mündung im brasilianischen Atlantik. Die beiden Männer fordern Gottes grandioses Naturspektakel zum Wettbewerb heraus.

Der Exil-Pole Piotr Chmielinski und der Kalifornier Joe Kane wollen als erste den Amazonas von der Quelle bis zur Mündung bezwingen – im Paddelboot. Langsam nähert sich unser Motorboot den kleinen, wendigen Kanus und ich werfe den beiden aus unserer Kühlbox eine kalte Dose Limonade zu. Beide freuen sich, etwas Erfrischendes zu trinken und sind froh, uns zu sehen. Endlich wieder eine Gelegenheit, sich mit jemandem unterhalten zu können, und nicht nur diese monotonen Selbstgespräche, nach denen man am Ende des Tages am eigenen Verstand zu zweifeln beginnt.

Das Gesicht der beiden ist von der Sonne zerfressen, die oberen Schichten sind bereits geschuppt. Besonders an den Ohren und an der Nase hat die sengende Sonne die Hautschichten abgetragen und blutrote Knäuel hinterlassen. Merry Christmas ruft Piotr dem Fotografen Norbert zu. Merry Christmas antworten wir und prosten uns auf dem Amazonas mit Sprite zu. Es ist ein ganz besonderer Tag. Es ist Weihnachten.

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