Notizen und Anmerkungen von unterwegs

Kategorie: Peru Seite 3 von 5

Mein Südamerika

Dies ist ein Auszug aus dem Buch von Wolfgang Stock Schneefall in den Tropen:

Wer sich in den weichen Knäuel frisch gepflückter Baumwolle wälzt, wer die fröhliche Unbekümmertheit der Menschen erlebt und wer das ultramarinblaue Wasser des Pazifiks vor Augen sieht – der kommt so schnell nicht mehr los von diesem Kontinent. Wenn man mit dem Flugzeug das ach so polierte Europa hinter sich lässt, so taucht man urplötzlich ein in eine merkwürdige Welt: in eine ansteckende Ausgelassenheit des Daseins ebenso wie auch in ein durch den Überlebenskampf gezeichnetes nacktes Elend.

Der Reisende erlebt einen Kosmos von beeindruckender Schönheit und beispielloser Bedürftigkeit zugleich. Die Wirklichkeit Lateinamerikas stellt sich ihm so facettenreich dar wie seine Landschaftszonen: das kalte, karge Hochgebirge, die berauschende Schwüle im Regenwald, das erdrückende Gedröhn in den Großstädten oder der laszive Charme pittoresker Fischerdörfer.

Und auch die volkswirtschaftlichen Entwicklungsstufen erlebt dieser Halbkontinent nicht schlüssig und in historischer Abfolge, sondern zeitgleich als eine Art chaotischer Mischzustand. Verarmte Kleinbauern, feiste Industriebarone und entrückte Internet-Yuppies laufen da nebeneinander her wie drei ungleiche Rivalen, die nichts von einander wissen möchten und sich eigentlich auch nichts zu sagen haben.

Darüber hinaus lassen sich

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Meine Fotos im Museum

Akademie der Künste, Berlin; Photo by C. Stock

Berlin, den 19. Februar 2012

Akademie der Künste, Pariser Platz, Berlin, direkt neben dem Hotel Adlon. Hier läuft seit kurzem für zwei Monate bis 15. April die Ausstellung über den Schauspieler Mario Adorf …böse kann ich auch.

Zahlreiche Fotos, Manuskripte, Notizzettel und Dokumente, die sich im Laufe von Adorfs reicher Karriere angesammelt haben, werden dem Publikum zugänglich gemacht. Mario Adorf hat diesen Nachlass der Berliner Akademie vermacht. Da der Schauspieler ja glücklicherweise noch lebt, sehen wir hier also seinen Vorlass. Kurator Torsten Musial hat eine spannende Ausstellung zusammengetragen.

Neben all den Erinnerungsstücken von Adorf sind da auch zwei Fotos, die nicht aus dem Fundus des 81-jährigen Schaupielers stammen. Ein Foto, das ihn bei den Dreharbeiten zu Fitzcarraldo zusammen mit Mick Jagger zeigt. Auf dem anderen sieht man den Regisseur Werner Herzog bei den Dreharbeiten im Urwald. Beide Fotos aufgenommen 1981 im peruanischen Amazonasdschungel. Meine Fotos. Ich war dabei. Ich habe damals

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Alfonso Barrantes verschenkt ein Glas Milch

Lima, im Januar 1986; Photo by Norbert Böer

Im Rathaus zu Lima empfängt uns, Anfang Januar 1986, der Bürgermeister der peruanischen Metropole. Doch der barocke, angestaubte Pomp des Rathauses, durch das noch ein Hauch spanischer Großmannssucht weht, mag zu diesem Oberbürgermeister irgendwie nicht so recht passen.

Obwohl er der marxistischen Linkspartei angehört, ist Alfonso Barrantes ein Pragmatiker, dem die kruden Ideen und das üblichen Revoluzzer-Pathos so ganz abgehen. Im Gegenteil, sein Name ist verbunden mit einem menschenfreundlichen Lebenswerk: Er war und ist der Vater des Vaso de leche.

Alfonso Barrantes hat dafür gesorgt, dass jedes

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gefährliche Kurven

Grafik by Fernando Tejeda

Da stehe ich mit meinem silbernen Rimowa-Koffer inmitten der Passagierschlange aus wohl 15 Personen, die alle am Faucett-Schalter für die Abendmaschine nach Lima einzuchecken gedenken. Und dann kommt plötzlich diese strahlende Schönheit in die Flughafenlobby stolziert, eine blutjunge Frau mit weichen Gesichtszügen, eine zierliche Venus im enganliegenden Kleid, das die wohlgeformten Rundungen noch betont.

Einen vielleicht zweijährigen Jungen trägt sie etwas bemüht auf dem linken Arm. Noch bevor ich mir die Frage beantworten kann, was denn ein solch bezauberndes Geschöpf in einem solch gottverlassenen Andenkaff wohl zu suchen hat, steuert sie schnurstracks auf eine Person aus der langen Warteschlange zu. Diese Person bin ich.

Mit strahlenden Augen und einem betörenden Lächeln, das ich seit Monaten nicht gesehen habe, fragt sie, ob ich ihr beim Einchecken helfen könne. Und das sind dann die Momente, wo beim Manne die Beine und das bisschen Hirnmasse weich werden. Selbstverständlich, antworte ich fast mechanisch, es sei mir ein Vergnügen.

Sie gesellt sich mir zu, stellt sich neben mich, erzählt, dass sie nach Lima zu ihrem Bruder fliege. Und langsam rücken wir, wie ein Ehepaar, das sich nicht erst 20 Sekunden, sondern 20 Jahre zu kennen scheint, in der Schlange nach vorne. Das Kind sei der Sohn ihres Bruders, sie selbst sei ledig, und sie freue sich, mich getroffen zu haben, meint sie mit einem zarten Augenaufschlag, während das Kind recht dösig dreinschaut.

Kurz bevor wir an der Reihe sind und noch ehe die Faucett-Angestellte in ihrem adretten roten Kleid mein Flugticket verlangt, fragt die rasante Schönheit

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Iquitos und Ich

Iquitos 1987; Photo by N. Böer

Oft war ich schon in diesem verlassenen Nest im peruanischen Amazonasdschungel, sechs, sieben Mal vielleicht. Und immer, wenn ich in Südamerika weile, dann zieht es mich hierhin, wie zu einem Magneten, schwer erklärlich, es ist halt so.

Doch versuchen wir es: Die Stadt ist einzigartig. Keine Straße führt zu ihr hin, und keine aus ihr heraus. Man muss, will man es einigermaßen bequem angehen, schon mit dem Flugzeug einfliegen. Und trotzdem wohnen über 450.000 Menschen in Iquitos. Die größte Stadt der Welt, die ganz von den Segnungen der Neuzeit abgeschnitten ist.

Beim ersten Besuch kam ich mir klein und verlassen vor. Iquitos schüchtert zunächst ein. Alles drängt und drückt. Links, der dichte Urwald, und rechts, der wuchtige Amazonas. Dazu die Allgewalt der Tropen, wo eine Zecke stärker sein kann als der Mensch, von oben drückt die Schwüle, von innen die Hitze. Wenn man dann das zweite Mal kommt, kennt man all dies. Und wenn man länger bleibt, weiß man mit dieser Stadt umzugehen.

Anfangs bin ich noch unsicher

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Gold suchen in Peru

Madre de Dios, im Januar 1986; Photo by Norbert Böer

Laberinto/Peru, im Januar 1986

Madre de Dios. Die Mutter Gottes. In Anbetracht eines solchen Namens wäre es pietätlos anzumerken, wir befänden uns am Arsch der Welt. Bleiben wir wohlerzogen. Peruanisches Andentiefland, beginnender Amazonasurwald. Keine Menschenseele weit und breit. Also doch, Arsch der Welt.

Von Madre de Dios, der Provinzhauptstadt, geht es nach Laberinto, ein lausiges Fleckchen aus Schlamm und Morast, wo es keine richtigen Strassen und auch keine Häuser gibt und wo man uns an die Gurgel will, nur weil in unserem Ausweis als Berufsbezeichnung Journalist steht.

Von Laberinto geht es eine Bootsstunde den Fluss hinauf, dann noch einem halbstündigen Fussmarsch durch Dschungeldickicht, bis  wir das Lager der Schürfer erreichen. „Da, da hinten im Berg, da ist es drin“, meint Justo Sotelo, ein Veteran unter den Goldsuchern.

Es gebe zwei Möglichkeiten: Entweder

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Der Palast der toten Ratten

Palacio de Pizarro, Lima im Januar 1986; Photo by Norbert Böer

Vor ein paar Wochen ist ein neu gewählter Präsident in Limas wuchtigen Präsidentenpalast eingezogen. Ollanta Humala, ein linksorientierter Nationalist, wurde als Staatsoberhaupt Perus vereidigt. Eine Hoffnung für das Land, sicherlich, aber so recht weiß niemand, wie Humalas Politik sein wird. Eine neue Enttäuschung für das geschundene Land?

Ich besuchte als Journalist im April 1984 diesen düsteren Palast und habe sie alle kennen gelernt. Die käuflichen Politiker, korrupte Beamte, die linken Schwadroneure und weiße Rassisten, die meinen, das Land

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Monsieur Eiffel kommt in den Amazonasurwald

Photo by Norbert Böer

Iquitos, im Dezember 1985

In Iquitos, inmitten der peruanischen Tropen, gilt die Casa de Hierro nicht als spektakuläres Bauwerk. Das Haus aus Eisen steht einfach da, so wie es die letzten hundert Jahre immer da stand. Das zweigeschossige, abgeflachte Bauwerk findet man an der südöstlichen Ecke der Plaza de Armas und ist nur einen Häuserblock vom wuchtigen Amazonasfluss entfernt.

Im Erdgeschoss residiert ein kleines Reisebüro, das Ausflüge in den Amazonasurwald anbietet. Eine Etage darüber befindet sich eine Wohnung. Alles ganz normal soweit, doch die Geschichte des Eisenhauses ist spektakulär.

Denn dieses Eisenhaus wurde von keinem geringeren als dem Franzosen Gustave Eiffel gefertigt. Der Ingenieur Eiffel erlangte bekanntlich Weltruhm als Vater des Eiffelturms, des sich gen Himmel reckenden Wahrzeichens von Paris.

Eiffels Eisenhaus ist einzig aus

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Cusco verteidigt tapfer seine Tradition

Cusco – Plaza de Armas; Grafik by Amaya A./Pintor Peruano

Cusco, im Januar 1986

Es kann kalt werden in Cusco. Selbst in den Sommermonaten von November bis März erreichen die Temperatur nicht mehr als 15 oder 16 Grad. Und die Nächte im Andengebirge können bitterkalt werden. Ein eisiges, dürres Klima.

Denn die alte Hauptstadt der Inkas, liegt hoch. So hoch, dass sich der Europäer an die dünne Luft erst langsam gewöhnen muss. Der Coca-Tee hilft ein wenig gegen den Kopfschmerz und das Fiebergefühl in über 3.400 Metern Höhenluft.

Wer mit dem Frühzug ins nahe Machu Picchu rauf will, der muss eine Pferdenatur mitbringen. In den Eisenbahnabteilen laufen ambulante Händler mit Sauerstoffflaschen auf und ab, um den notleidenden Bleichgesichtern eine oxygene Notration zu verpassen.

Die Altstadt von Cusco hat sich tapfer

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Kacheln im Urwald

Reliefkachel der Casa Cohen; Photo by Norbert Böer

Iquitos/Peru, im Dezember 1985

Der Kautschukboom im Amazonasbecken lockt Anfang des 20. Jahrhunderts Spanier, Italiener, Portugiesen und Deutsche in den Urwald. Und die Stadt Iquitos wird zum Mekka jener Glücksritter und Abenteurer.

Die schnell steinreich gewordenen Einwanderer schauen sich in Europa jene Herrschaftshäuser ab, die sie dann hier, mitten in den Tropen, in architektonischer Großsprecherei einfach nachbauen. Die vielen Dollars der Caucheros lassen in kurzer Zeit ein bizarres Phantasialand unter Palmen entstehen.

Die steinernen Zeugen jener gloriosen Zeit stehen noch heute in Iquitos, leicht angekratzt wohl, aber doch ziemlich wacker und weithin in praller Schönheit unter der sengenden Sonne Amazoniens. Rund um die Plaza de Armas und entlang des Malecón, der prachtvollen Uferpromenade am Amazonas, findet man auch nach hundert Jahren noch jene bunte Puppenstube des kautschuktrunkenen Gemüts.

Das im Jahr 1912 fertiggestellte Palace Hotel etwa, ein wuchtiger Jugendstilbau, dessen komplette Frontseite in feinsten glitzernden Ornamenten gekachelt ist. Die Balkongitter aus Hamburg und die farbenprächtigen Mosaiksteine aus Sevilla – dafür muss der Don dieses Prachtbaus, Otoniel Vela, tief in seine gefüllte Tasche greifen. Heute residiert in dem Gebäude die Militärkommandatur der Region Loreto.

In den staubigen, brütend heißen Straßen von Iquitos findet sich ein Dutzend weiterer Wohnpaläste, die vom Reichtum der längst vergangenen Belle Epoque Auskunft geben. Die Casa Cohen mit ihren farbenfroh blau leuchtenden Reliefkacheln an der Hauptstrasse beherbergt heute ein hübsches Restaurant. Und da ist die Casa Morey mit ihrem kunstvollen Stuckbalkon oder die Casa Cahn mit den verspielten Fenstergittern. Das Colegio del Sagrado Corazón ist wie ein Zuckerbäckerhäuschen erbaut, so als sei Antonio Gaudí für ein paar Tage dem Tropenfieber anheim gefallen.

Für die Kautschukbarone kann das Verrückteste nicht verrückt genug, kann kein Weg weit genug sein: Marmor aus Florenz, Kacheln aus Delft und Pflastersteine aus Portugal. Ein Eldorado des Modernismo inmitten des Urwaldes, eine Kreuzung aus Natur und Größenwahn, aus Klassik und Kitsch. Nach wenigen Jahren jedoch erlebt der Kautschukboom sein abruptes Ende und mit ihm der surreale Wahn europäischer Edel-Architektur im Dschungel. Die Fiesta findet ihr Ende.

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